Das Eine

Eines weiß ich, dieses Eine
Füllt Gedanken mir und Sinn.
Alles gäb' ich für die reine
Unschätzbare Perle hin!

Glaub' und Hoffnung - sie erheben
Selig zu des Himmels Höh'n,
Doch es wird ihr Götterleben
Einst in Schauen untergeh'n.

Nur die Liebe, diese eine
Perle in der Zeiten Schoos,
Sie, das Kleinod, das ich meine,
Ist unsterblich, wandellos.

Mag aus tausend Wunden bluten
Hoffnungslos des Menschen Herz,
Sie besiegt des Leidens Gluthen,
Lieb' ist stärker als der Schmerz.

Mag der Kleinmuth ängstlich zagen,
Zweifeln an des Ew'gen Huld:
Eines kann den Zweifel schlagen,
Lieb' ist größer als die Schuld.

Fest an ihre Brust geklammert,
Hebt sich das Gesunk'ne auf,
Was verzweiflungsbang gejammert,
Blickt, durch sie erlöst, hinauf.

Und sie weckt aus Grabesnächten
Neuen Aufgangs Morgenroth;
Leben träuft aus ihrer Rechten,
Lieb' ist stärker als der Tod.

Lieb' ist stärker als das Leben,
Als das Leben der Natur;
Göttliche Gesetze geben
Kann die Lieb' dem Leben nur.

Kann verklären seine Triebe,
Adeln was das Herz entflammt,
Bis das Leben wird zur Liebe,
Zu der Lieb', die Gott entflammt.

Langmuth hebt, Erbarmen, Güte
Dann des jungen Lebens Schlag,
Und es keimt des Friedens Blüte,
Und es lacht der Wahrheit Tag.

Glaub' und Hoffnung, ihre Schwingen
Sind der Liebe zugesellt;
Liebe kann zum Himmel dringen,
Lieb' ist stärker als die Welt.

Alles Wissen, alles Haben
O wie eitel, arme Müh!
Was sind alle Himmelsgaben,
Alle Himmel ohne sie?

Ja, sie ist es, die ich meine,
Die mir füllet Herz und Sinn;
Herr, nimm alles für die eine
Unschätzbare Perle hin!

aus: Gedichte von Agnes Franz
Zweite Sammlung Essen 1837

Collection: 
1836

More from Poet

  • Andächtig hingeneigt am Hochaltare,
    Das Aug' gesenkt in brünstigem Gebet,
    Daß sie der Stunde ernstes Heil bewahre,
    Kniet Laura in demüth'ger Majestät.
    Nicht irdisch Glück, - das Ew'ge, Unsichtbare
    Ist's, was an ihrem Sinn...

  • Es hielt die Nacht das Licht gebunden,
    Bis es der Liebe Wort befreit,
    Nun haben Beide sich gefunden,
    Zu ewig fester Einigkeit.
    Und wo sich ihre Flammen regen
    In jugendlichen Lebensmuth,
    Da naht sich auch des Liedes...

  • Du willst es, daß ich von Dir gehe,
    Und machst die Trennung mir zur Pflicht,
    Doch, - ob ich fern von Dir bestehe,
    Dies, Grausame, dies frägst Du nicht.

    Du droh'st dem Freund, und lächelst leise,
    Wenn düster er von Sterben...

  • Bei Gerhard von Kügelchens Zeichnung:

    Hoch der Fackel dunkle Gluth geschwungen,
    Die des Siegers luft'ge Bahn erhellt:
    Senket sich zu frohen Huldigungen
    Eros auf die hochentzückte Welt.

    Doch wer nennet mir den stillen...

  • Bei Gerhard von Kügelchens Gemälde:

    Was sinn't die Stirn in heiliger Verklärung?
    Sehnt nach der Götterheimath fernem Glück,
    Nach ew'ger Liebe seliger Gewährung
    Sich Dein entzückter, sehnsuchtsvoller Blick?

    Berührt von...