I.
„Hier, diesen Harnisch hat ein Weib getragen“,
Sprach in der Burg der alte Kastellan.
Wohl gilt’s jetzt nicht, das Herz in Erz zu schlagen.
Daß nicht ermordend ihm die Feinde nahn!
Mein weiblich Herz wollt ihr mit Gift verwunden –
Wohl bitter hat es euer Thun empfunden!
Doch mag es nimmer andern Schirm und Schild,
Als die Begeistrung, die vom Herzen quillt.
Hoch am Himmel stand die Sonne,
Gleich einem Engel mit goldenen Flügeln
Ausgesendet vom Thron des Höchsten,
Zu segnen die Erde mit Glanz und Wärme.
Und der Engel breitete
Die strahlenden Arme weit aus –
Und es war als zög er die aufatmende Erde
Näher dem Himmel, näher der Gottheit.
Goldene Strahlenringe zog der Engel von seinen Fingern,
Verteilte sie dahin und dorthin;
Und die Ringe wurden zu Heiligenscheinen,
Zu Himmelsglorien auf den Gipfeln der Berge,
Dahin sie der Engel geworfen.
Und solch eine Himmelsglorie,
Solch ein Heiligenschein krönte noch einmal
Die Krone der Burgen des Thüringer Waldes:
Die uralte Wartburg.
Ich stand und schaute.
So lange ich daheim verweilt
Ein spielendes Kind, eine sinnende Jungfrau
An den Ufern der Elbe, wo uralte Burgen
Verwitterte Klöster unheimlich mahnen
An des Mittelalters eiserne Gestalt:
An den Ufern der Elbe, wo grünende Reben
Mit reifenden Trauben verheißend mahnen
An der neuen Zeiten gärende Gewalt.
So lang ich daheim verweilt an den Ufern der Elbe,
Den reben- und burgbekränzten, so lange auch weilte
Die Sehnsucht in meiner Brust nach der Krone der Burgen
Des Thüringer Waldes: der uralten Wartburg.
Nun stand sie in Himmelsglorie mit dem Heiligenschein
Vor den trunkenen Blicken.
Meine Hände waren gefalten,
Thränen mir in den Augen wallten,
Nieder ein Tropfen fiel:
Ich war am Ziel.
II.
Hinauf die Berge, die waldumkränzten,
Hinauf zur Burg, der erinnerungsreichen! –
Noch steht sie da ein heilig sichres Zeichen,
Daß was in ihr gekämpft ward und gestrebt
Auch wir ersiegen, wenn wir nimmer weichen
Gegrüßt! gegrüßt, Du Veste des Vaterlands,
Du deutsche Burg mit dem deutschen Namen.
„Wartburg“! Ach, nur zu deutsch,
Denn wo auch der Deutsche sich eine Burg mag bauen
Zu wahren seine heiligen Rechte,
Da läßt man ihn warten! –
Und er wartet geduldig – wie lange noch?! –
Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Winkt zwischen gothischen Säulen
Das Bildnis einer Heiligen.
Ja, einer Heiligen, die ich heilig preise,
Ob ich auch oft gehöhnt und verspottet
Die heilig gesprochnen, gebeugten Gestalten,
Die ’s nur mit Fasten und Träumen gehalten.
Die sich gegeißelt, die sich gemartert,
An ihrem Leibe gefrevelt
Im frechen, thörichten Wahnsinn
Um die Gunst des Himmels zu buhlen.
Ob ich auch bilderstürmerisch im Gemüte
Oft gestanden in Kirchen und Klöstern,
Wo Götzenbilder geprangt mit Heiligenscheinen
Weil sie die Menschheit frevelnd entmenschlicht, –
Es verstummte das scheltende Wort
Und der Spott auf der Lippe –
Und eine fromme Thräne trat in mein Auge
Vor Deinem Bildnis: Heil’ge Elisabeth!
Die goldene Grafenkrone,
Den eitlen schimmernden Reif
Nahm sie demütig aus den Locken
Dem gegenüber,
Der einst eine Dornenkrone getragen.
Ihm hatten nichts gegolten Purpur und Kronen,
Und nichts die Macht auf goldenen Thronen,
Ein Kind aus dem Volke
Hat er’s gehalten mit den Armen und Niedrig gebornen,
Mit den Verachteten und Verstoßnen.
Die Hungernden hat er gespeist,
Die Kranken hat er geheilt, den Schwachen vergeben.
Und mochte nie den ersten Stein erheben
Auf eine schwache Sünderin.
Und wie er lebte für das arme Volk
Ist er gestorben für die Ausgestoßnen
Und hat als seine Erben hinterlassen,
Die Armen aller Völker, aller Zeiten,
Die Armen alle, die er Brüder nannte,
Und die ja um uns sind noch alle Zeit. –
Das wußte wohl Elisabeth!
Sie hat die große Erbschaft angetreten
Bei ihres Landes, ihres Volkes Armen:
Sie hielt’s nicht nur mit Fasten und mit Beten,
Sie hatte für die Leidenden Erbarmen, –
Hernieder stieg sie von der Wartburg
Zu den Bekümmerten, und als graunvolle Hungersnot
Den Segen aufgezehrt und bleiches Elend
Wie ein grausiger Fluch wandeln ging durch die Lande,
Kehrte Elisabeth wieder die Flüche in Segen,
Gab was sie hatte, sich selbst nicht besser achtend
Als die Geringsten im Volke.
Doch als der Gatte ergrimmt ob so reichlicher Spenden,
Da wandelten sich unter ihren Händen
Die Brote in Rosen –
Doch war sie entronnen den Augen der Späher
Und stand unter den bleichen Gestalten der Not,
Da wurden wieder die Rosen zu Brot.
Und in der helligen Wundermäre
Ruht eine Lehre für unsere Zeiten:
Seht Ihr die Kindlein Blumen pflücken,
Den duftenden Strauß in den Händen der Not,
So wandelt die Blumen zu Brot.
III.
Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Feiertest Du, göttliche Himmelstochter,
Poesie, Deinen edelsten Sängerkrieg!
Damals zogen die Sänger noch ein
In die Hallen der Fürsten und Großen,
Priesen der Minne Glück, priesen das Vaterland
Waren geächtet noch nicht und verstoßen.
Die Großen fühlten höchlich sich geehrt,
Wenn der Poet bei ihnen eingekehrt.
Das ist vorbei!
Wohl giebt’s noch Sängerkriege,
Aber in anderem Sinne
Als einstens der Sängerkrieg ward gefochten
In deinen Hallen, uralte Wartburg.
Krieger sind jetzt die Sänger
Gottentflammte begeisterte Volkstribunen.
Aber nicht um einander zu entreißen
Ruhmespsalmen singen und kämpfen sie –
Nein, eine höhere Sendung
Ist jetzt den Dichtern geworden.
In gleicher Gesinnung
Stehen und kämpfen sie nebeneinander;
Ziehen nicht ein in die Hallen der Großen,
Sie sind daraus verstoßen –
Haben sich selbst verbannt.
Draußen aber bei allem Volk
In den Hütten der Armut,
Vor den Kerkern Unschuldiger
Singen sie ihre Weisen:
Von den Rechten der Unterdrückten,
Von der Freiheit der Gefesselten,
Von den Freveln der Reichen,
Von der Teilung der Arbeit und des Erbes
Für alle Menschgeborenen!
Das ist ein Sängerkrieg, ein neuer, heiliger
Und sicher ist sein Sieg.
IV.
Und mich umklang es wie brausender Sturm!
Wie Orgelklang hört ich’s tönen,
Und laut in den innersten Tiefen der Seele
Vernahm ich ein feierlich Wort,
Das wie ein Echo von diesen Wänden
Mir wieder und wieder erklang,
Es war das Wort aus dem alten Gesang
Des mutigen Mönches vergangener Zeit,
Der mit diesem Lied seine Zelle geweiht.
„Und ob die Welt voll Teufel wär’
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es muß uns doch gelingen!“
Ja, Luther hat vor Menschen nicht gezittert
Und nicht vor einer Welt voll Teufel!
Kam dennoch der Versucher, ein zagender Zweifel
Da faßte der kühne Mann das Tintenfaß
Und warf’s dem Dämon siegvoll hin.
So hat er protestirt gegen die Lügenbrut
So protestieren wir: schleudern die Tintenflut
Unsrer Begeistrung Ströme
Gegen die Frömmler und Pharisäer
Gegen all die Philister und Spukgestalten
Die’s mit dem Teufel halten,
Der wider Recht und Pflicht
Und wider Freiheit ficht.
Wir werden nimmer die Waffen strecken
Bis alle Feinde rings vernichtet
Und alles Dunkel aufgelichtet.
Gilt’s nicht zu handeln – gilt es doch zu schreiben.
Es soll das Wort den Lügengeist vertreiben:
„Das Reich Gottes muß uns bleiben! –“
V.
Sinnend stand ich, traumverloren
Vor dem kleinen Altar in der Kapelle.
Schwarze Gewitterwolken waren aufgezogen
Südlich am Himmel.
Mitten in die purpurne Abendröte
Zuckten goldene Blitze flammend in Siegesgewißheit,
Und dennoch schnell verschwindend –
Also zuckte durch meine Seele,
Blitzend ein Gedanke
Eine Gedächtnistafel schwarz-rot-golden
In meinem Innern enthüllend.
Und auf der Tafel stand mit leuchtender Schrift:
Tausend achthundert und siebzehn.
Und ich stand vor dem Altar
Vor dem damals die deutsche Jugend
Siegesmutig gestanden,
In allgemeiner Liebesverbrüderung
Sich die Hände gereicht und das vaterländische Bündnis
Auf die Hostie feierlich beschworen.
Und ich stand vor dem Altar
Thränenden Auges!
Und doch fühlt ich wie sie, wie die hoffende Jugend,
Jugendkraft in den Adern
Freiheitsglut – Todesmut
Für die heilige Sache des Vaterlands! –
Aber ich stand und weinte.
Auch das mutige Aufjauchzen
Aus dem Herzen der deutschen Jugend
Durfte nicht frei in die Lande dringen
Durfte es damals nicht – darf es auch heute nicht –
Denn es will mich bedünken:
Als habe der Argwohn selbst eine Burg erbaut
Mitten im deutschen Land – auch eine Wartburg!
VI.
Sinnend trat ich hinaus
In den mauerumgebenen Schloßhof,
Wo junge Gräser sproßten, Kinder der neuen Zeit,
Die nichts gesehen von der vergangenen Tage Herrlichkeit,
Von der vergangenen Tage Leid.
Hinter den wallenden Wolken
Schaute noch einmal ruhig strahlend hervor,
Die unvergängliche Klarheit der Sonne.
Und beleuchtete zu meinen Füßen,
Ein Werk der spielenden Natur,
Im dreigeblätterten Klee – ein Vierblatt.
Ich pflückt’ es als Angedenken – als vierfaches
An diese Burg, die erinnerungsreiche,
Und that dabei einen Schwur, einen vierfachen:
Elisabeth, die Heilige,
Sei mir ein Vorbild in stiller Demut
In allumfassender Menschenliebe
Der Armen mich zu erbarmen.
Und in dem Sängerkrieg, dem neuen, heiligen
Will ich stehen und fechten, bis mit dem letzten Lied
Der letzte Odemzug der Brust entwallt!
Und protestieren will ich nach Luthers Wort,
Und für den freien Glauben
Mit freier Rede in die Schranken treten! –
Und fest verbrüdert mit der deutschen Jugend
Weih’ ich dem Vaterlande all mein Streben, –
So steh ich ernst und frei vor allem Volk.
Und wollt Ihr nun mich höhnen und verdammen,
Weil nur die schwache Jungfrau zu Euch spricht:
Nicht löschen könnt Ihr der Begeist’rung Flammen,
Könnt sie nur schmähen, aber dämpfen nicht,
Und wenn mein Herz von Euch verstoßen, bricht,
So bricht’s mit Luthers Worten doch zusammen:
„Gott helfe mir! – doch anders konnt ich nicht!“ –