I.
Wohl denk ich selig meiner Kindheit Tagen,
Da ich gespielt mit Vögeln und mit Blüten,
Wo in der Mutterarmen treuem Hüten
Mir alle Paradiese offen lagen.
Wo ich die ersten Bücher aufgeschlagen,
Mich drein versenkt mit ernsthaft stillem Brüten,
Bis meine bleichen Wangen heiß erglühten
Von meines Volkes schönen Heldensagen.
Dann sprach die Mutter: „Kind, es sind Gedichte.
Vergiß es nicht: all’ was du hier gelesen,
Zeigt dir das Leben oft in anderm Lichte.“
Warum denn unterscheiden Sein und Wesen?
Nein, Mutter – meinen Glauben nicht vernichte!
Dann krankte ich und könnte nie genesen!
II.
Wehmütig hat sie dann das Haupt gesenket
Und still gebetet: „Gott mag dich bewahren!
Er sende dir aus seinen Engelscharen
Den reinen Schutzgeist, der dich führt und lenket.
Viel wirst geliebt du werden, viel gekränket,
Viel Täuschung und viel Leid wirst du erfahren;
Viel Thränen trüben dir den Blick, den klaren,
Wenn sich dein Sehnen nicht noch selbst beschränket.“
So gab sie sterbend mir den letzten Segen.
Ich sank entsetzt vor der Entseelten nieder –
Lang fühlt’ ich nichts als meines Jammers Regen.
Da rieselten mir Schauer durch die Glieder:
Soll ich nicht mit in deinen Sarg mich legen,
So laß mir meine Träume, meine Lieder.
III.
So laß mir meine Träume, meine Lieder!
Zur Gottheit selber hab’ ich so erhoben
Mein heiß Gebet im brünstigen Geloben:
Was du mir gabst, das lasse ich nicht wieder!
So träumt ich denn, es fielen Rosen nieder,
Die sich zu einer holden Kette woben –
Und darauf schien ein Sonnenglanz von oben
Und aus den Rosen wurden Sternenglieder.
Das war der Liebe göttlich süßes Träumen
Mit seinen Wonnen, seinem Glühen, Sehnen,
Das bis hinauf drang zu des Himmels Räumen.
Im Aether dort erglänzten heil’ge Thränen,
Wie Tauesperlen oft die Rasen säumen,
So mochten sie sich an die Sterne lehnen.
IV.
Doch kühnres Träumen mächtig mich erfaßte,
Der ganzen Menschheit mich dahin zu geben,
Als Opfer sterben oder kämpfend leben,
Daß ich von Not und Druck sie mit entlaste.
O wie ich zürnend ihre Feinde haßte!
Wie ich empor mich rang mit kühnem Streben,
Wie ich der Freiheit Banner wollte heben,
Ob es auch für die schwache Hand nicht paßte!
Begeistrung war in diesen Träumen allen,
Und mehr als das; es war ein stetig Trachten
Nur vorwärts durch die Nacht zum Licht zu wallen.
Gefahr und Furcht, wie lernt ich sie verachten,
Wie ließ ich meine Losung laut erschallen:
Der Traum wird Wahrheit! wachet auf! – wir wachten.
V.
Wie ich geliebt, gestrebt, gekämpft, gelitten:
Zu Liedern mußt es immer sich verklären,
Und also mag es bis zum Tode währen –
Das ist noch jetzt zu Gott mein brünstig Bitten.
Noch jetzt, da schon das Alter kommt geschritten,
Statt Rosen nur noch winken reife Aehren,
Nicht kühne Wünsche mehr sich seufzend nähren,
Der Phantasie die Flügel längst beschnitten.
Noch jetzt will ich den Träumen nicht entsagen,
Noch jetzt will ich im Kampfe nicht erlahmen,
Eintreten noch für große Menschheitsfragen.
Noch jetzt will ich für die, so nach mir kamen,
Das Wort, das kühne, auszusprechen wagen:
„Seid treu Euch selbst, wie ich getreu blieb!“ Amen.