Die beiden Schwestern

 Ethische Burleske.

          Leitspruch: Dem Heuchler deine Krallentatze,
 doch Großmut, Löwe, seiner Welt!
 Sie ist auch deine. Jede Fratze
 zeugt für den Gott, den sie entstellt.

Sie war geflochten aus besten Stricken,
aus bleiverknoteten, festen, dicken,
meine Geißel nämlich – und der Stiel
so grad recht handlich zum Prügelspiel.
Doch nein: es sollte ja ernst zugehn,
ich wollte die Hexe blutig karbatschen,
diese alte Prüde mal zappeln sehn.
Also rasch in den Frack! in die Ecke die Latschen,
die Lackschuh an, Manschetten, Chapeau,
damit nicht etwa, käm’ich so
als Mensch blos, ohne den Affenschniepel,
Verdacht entstünde: hinaus, du Rüpel!
Ich las noch einmal die Adresse:
Frau Geheime Comm.-Rath S. von Kohn
etcetera – die „Commission“
verschwieg man, schien’s, aus Delikatesse.
Eine Krone drüber, riesengroß,
ersetzte das „geborne“ Schwänzchen.
Da war ich geladen zum Lesekränzchen.
Denn – verehrter Leser, ich träumte blos...

Hm! sollt ich sie also wiederbegrüßen.
Wahrhaftig, sie hatte Carrière gemacht,
hatte mich immer schon ausgelacht –
na warte, du Kröte, heut sollst du’s büßen!
Ich übte Probe; verdammt, Das zog,
wie die Knute um Wade und Schienbein flog!
Ich knöpfte sie zärtlich unter die Weste,
ich übte den Handgriff, es ging aufs beste.
Noch ein Blick in den Spiegel: Famos, famos,
das wird ein lustiges Lesekränzchen,
erst Faust von Goethe, und dann mein Tänzchen!
Faust?? – Wie gesagt, ich träumte blos.

Wo hatt ich sie eigentlich kennen gelernt?
Seltsam! ich sann und sann und sinnte,
meine Gedanken waren wie Stinte:
kaum da, schon wieder weit entfernt.
Ich lief und lief – das war doch rein
zum Rasendwerden mit dieser Fratze!
Doch immer die selbe! das Auge! Nein,
doch nicht! jetzt so – fast wie ein Schwein,
jetzt wie’ne Schlange, nein, wie’ne Katze.
Und doch – zum Teufel, ich irr mich nicht:
um diese kaltlüsternen Blicke immer
das selbe zahme Kaninchengesicht,
nein Affengesicht, nein Hühnchengesicht,
das selbe süßlederne Frauenzimmer.

Ah – ja natürlich! klar wie Butter!
erst war sie die Tochter von unserm Paster.
Die warnte mich stets vor dem Pfad der Laster,
zwei Jahr drauf war sie Fräulein Mutter.
Das heißt, nicht etwa von meiner Seite,
ich wußte noch nicht, was der Vogel gepfiffen,
ich nahm die Worte noch für die Leute;
ein Andrer, der hatte sie – besser begriffen.

Dann war sie die Jüngste von meinen Tanten,
nein – Eine von ihren Gouvernanten,
nur daß sie mich beide nicht wiedererkannten;
die brachten uns jungen Sündern bei,
was alles unaussprechlich sei.
Sie lasen immer vor Schlafengehn
bei verriegelten Thüren die Bibel zusammen,
die Reinheit ihrer Seelenflammen
war aus der Reinheit der Blätter zu sehn;
die fettigsten Stellen – will ich nicht nennen,
die keusche Leserin wird sie kennen.

Herrgott, und die Pate, das war sie ja auch!
die mit dem wohlgemeinten Bauch.
Ihr seliger Gatte war sehr verderbt,
er hatte ihr einen Apoll vererbt,
der hatte nur ein Blatt zum Kleide;
drum band sie ihm, so geht die Fabel,
aus dunkelblauer chinesischer Seide
ein christliches Mäntelchen um den Nabel.

Nein Himmel – es war ja ihr Fräulein Base!
Nein – Fräulein Rosaura von gegenüber,
die mit der Entenschnabelnase
und dem lyrischen Epos „Je länger je lieber“.
Sie hatte sich züchtig nach einem Mann
in den vornehmsten Zeitungen umgethan,
doch wollte Keiner die Tugend belohnen;
nun schrieb sie Novellen und Recensionen.
Ganz Deutschland pries den neuen Stern
ob seiner jungfräulichen Reinlichkeit;
besonders Zola’n besprach sie gern
und – warnte vor seiner Peinlichkeit.
In Höherem Auftrag ließ sie auch,
der Staat bewilligte die Mittel,
ein Werk erscheinen mit dem Titel:
„Das verbesserte Volkslied zum Schulgebrauch“.
An den Anfang war als Motto gestellt:
„Hähnchen von Tharau ist’s, das mir gefällt“.

Und immer neue! Verdammte Hexe:
kaum bist du Eine, so sind es sechse –
Herrgott, nun ist sie ja gar ein Mann!
der Herr Kollege von nebenan,
der geprüfte Schulamtskandidat,
der die ausgezeichneten Zeugnisse hat;
er schwingt fürs Frauenwohl die Feder.
In Schriften spricht er und vom Katheder
über die höhere Sinnlichkeit
aller wahrhaft sittlich Emancipirten
und die sexuelle Verworfenheit
und perversen Affecte der Prostituirten;
er will ein kirchliches Zuchthaus gründen
zur Korrektur der natürlichen Sünden.
Die termini technici liebt er nämlich,
so ein Fremdwort finden die Damen scharmant;
deutsch klingt gleich alles so beschämlich
und zehnmal weniger intressant.
Drum ist er, nur aus besagtem Grunde,
bei einem Specialarzt ständiger Kunde.

Ah, da geht er ja wieder – Herr, warten Sie doch!
was machen Sie denn so breite Beine?!
Nein, das ist er ja garnicht – ah: Frau von Knoch
mit ihrem Möpschen an der Leine,
seine verehrte Gönnerin.
Ach nein: Frau Consistorialrath Klooß,
mit dem würdevoll wackelnden Doppelkinn
und bald Millionenbesitzerin,
die „Witwen- und Waisen-Beschützerin“,
geborene Freiin von – Kronensproß.
Ihr Neffe, der war ein deutscher Dichter,
so einer von dem modernen Gelichter,
die alles beim rechten Namen nennen
und gar keine moralischen Rücksichten kennen;
dem hat sie natürlich ihr Haus verschlossen.
Und da hat der Mensch die Frechheit besessen,
angeblich aus Mangel an Kleidung und Essen,
und hat sich ne Kugel durchs Herz geschossen.

Und immer neue! mein Atem brannte,
während ich so durch die Straßen rannte;
ich lief und lief, von Schweiß bedeckt.
Aus allen Mienen, aus allen Blicken,
als hätte ein Teufel die Welt beleckt,
schien mir dies Weibsbild entgegenzunicken.
Seitdem ich die Nase ins Leben gesteckt,
war sie mir über den Weg gekrochen
mit ihrem frommen Kaninchengesicht,
nein Katzengesicht, nein Hühnchengesicht,
mit ihren schlangengeschmeidigen Knochen.
Sie hatte so’was in den Augen,
das schien sich Einem ums Herz zu stricken,
jede Liebe drin zu ersticken
und jede Männlichkeit auszusaugen.
Und wo man hinkam, war sie zu treffen,
sie schien die reine Gesellschaftsklette;
sie ließen sich Alle geduldig äffen
von dieser verzuckerten, glatten Kokette
mit ihren ahnungslosen Mienen,
die – seltsam – nimmer zu altern schienen
und die ich auch niemals jung gesehn;
ihr schien die Natur aus dem Wege zu gehn.
Zwar – sie auch ihr! denn sonderbar:
kein Haus, in dem dies Rackervieh
nicht irgendmal zu finden war,
blos in den Hütten der Arbeit nie.
Und immer, waren mir mal zu Zwein
und ich wollte der Kröte die Wahrheit geigen,
so ein Lächeln und Lispeln: „Lassen Sie sein,
geliebter Freund! wie süß dies Schweigen!“
und ein Seufzen, ein schmachtendes Fächerwiegen:
„Ich weiß ja, alles ist natürlich!“
und ein lüstern lauerndes Hüftenbiegen:
„Im Wort nur ist es ungebührlich!“
dann aber, wie ein sattes Schwein
am vollen Troge pflegt zu liegen,
fing plötzlich so ein glasiger Schein
ihre geilen Blicke an zu lähmen,
ich konnte den Ekel nicht bezähmen,
ich mußt ihr vor die Füße spein.
Das brachte sie jedesmal zum Lachen:
„Sie wollen die Welt wol besser machen?“

Nur manchmal, wenn sie wie in Schauern,
als ob sich ihr Gefühl ertappte,
die Lider über die Augen klappte,
empfand ich was wie ein Bedauern;
vielleicht, daß doch in all dem Schleim
ein kleiner, verschimmelter Edelkeim!
Ich spürte dann immer so ein Jucken
in allen fünf Fingern, ihr die Mucken
mal mit der Karbatsche auszuplätten –
man weiß ja: Prügel und dann ein Kuß
ist verrückten Weibern ein Hochgenuß –
Das war das Letzte, das konnte sie retten.

Herjeeh ja, das war’s ja, das wollt’ich ja eben!
ah sieh, da bin ich ja schon zur Stelle.
Sie thronte, von ihrem Stab umgeben,
der kleine Herr Gatte stand dick daneben,
grad gegenüber der Zimmerschwelle.
Die persischen Polster und Teppiche strahlten
im weißen Schimmer der Glühlichtblüten,
die Teelöffel klirrten, Brillanten sprühten,
die Seidenroben rauschten und prahlten;
auch sprach man schon ... Ich legte die Rechte
verbindlich an mein Westenlätzchen
und – fühlte nach meiner Knutenflechte,
sie steckte sicher; na warte, Schätzchen!
Laut: „Gnä’ge Frau, ich habe das Glück,“
sie schien mich gar nicht wiederzukennen,
ich nahm die Ehre, mich zu nennen –
„Ah, der neue Herr Lektor. Ein’n Augenblick.“
Natürlich! sie hatte jetzt höhere Ziele,
die Geheime Comm.-Rath S. von Kohn,
als ihre plebejischen Kinderspiele;
sie war ja bei Hofe Vertrauensperson!
Sonst schien sie aber nicht verändert,
nur sozusagen zart conservirt,
die verschleierten Augen pikant umrändert,
und ein wenig à la Tartuffe frisirt.
Dem Herrn Geheimen schien, wie Allen,
seine Geheime sehr zu gefallen.

Nun fing man an von Kunst zu sprechen.
Der Herr Geheime sprach: „Verßeihn Se,
wenn ich so frei bin aufzubrechen,
ich habe Geschäfte beim Hofrat Heinse.“
„Oh“ – „leider“ – „bitte“ – bedauerndes Lächeln,
Verbeugen und Neigen und Wangenfächeln –
„Ja, leider dringende Commission,“
verschwand mit Würde Herr S. von Kohn;
nun ging es hoffentlich bald los.
Ich sah mich um – i Gott soll schützen,
da schienen ja lauter Bekannte zu sitzen!
Da rechts – Frau Consistorialrath Klooß,
geborene Freiin von Kronensproß.
Da – Fräulein Rosaura von Entenschnabel,
da die Pate mit dem verbundenen Nabel,
und Frau von Knoch mit ihrem Begleiter,
und die Pastertochter – na und so weiter:
das ganze gediegene Lesekränzchen,
wie sie da saßen und standen die Biedern
auf ihren unaussprechlichen Gliedern,
germanische wie semitische Pflänzchen:
oh Boccaccio, göttlicher Schmetterling,
dies Häufchen Gemüse in Einer Schüssel,
das wär was gewesen für Deinen Rüssel,
wenn nicht auch Dir der Spaß verging!
Ja: ihr ganzes Leben lag vor mir offen,
ich kannte sie Alle – und das Pack
schien nicht ein bißchen davon betroffen,
na wart’t! ich fühlte an meinen Frack.
Ja – die Frau Geheime war augenscheinlich
in ihrem Umgang äußerst reinlich.

Gott sei getrommelt und gepfiffen:
jetzt winkte sie. Die ganze Herde
war plötzlich ehrfurchtsvoll ergriffen,
und mit entsprechender Geberde
sprach die Geheime: „Lieben Freunde,
ich bin entzückt und hingerissen,
daß meine kleine Kunstgemeinde
so treu zusammenhält. Sie wissen,
daß wir uns heute dem unendlich
von uns verehrten, wundervollen
Genie von Weimar widmen wollen,
das heißt mit Auswahl selbstverständlich.
Ich darf wol bitten – hier, mein Lieber,“
das ging an meine Wenigkeit,
sie reichte mir den Faust herüber –
„die gestrichenen Stellen zu beachten;
wenn’s dann gefällig, wir sind bereit.“
Ich sah in das Buch; zwei Diener brachten
mir Lesepult und Wasserglas;
ich sah in das Buch. Ei Teufel – das,
das ging wahrhaftig über den Spaß:
da war ja Alles, schien’s, gestrichen.
Na, ich nahm Platz; die Diener schlichen
lautlos hinaus – ich machte tief
mein Kompliment – mein Auge lief
die Blätter durch – aha! hier oben
ein ganz besonders dicker Strich!
und salbungsvoll das Kinn gehoben,
begann ich ernst und feierlich:

„Ein Jeder lernt nur, was er lernen kann,
Vergebens daß ihr wissenschaftlich schweift;
Doch wer den Augenblick ergreift“ –
man horchte auf – „Das ist der rechte Mann.
Ihr seid noch ziemlich wohlgebaut“,
Fräulein Rosaura nickte zart,
„An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut“,
ich griff mir schmachtend in den Bart,
Fräulein Rosaura saß erstarrt,
„Vertraun euch auch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen“,
der Pastertochter wurde schwach,
„Es ist ihr ewig Weh und Ach“,
die Pate schien der Schlag zu rühren,
„So tausendfach“ –
Frau Klooß erkannte mit Gewimmer:
Herr Gott, das wird ja immer schlimmer –
„Aus Einem Punkte zu kurieren.
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut“,
jetzt ging ein Ächzen durch das Zimmer,
„Versteht das Pülslein wohl zu drücken“,
die Frau Geheime schien zu sticken,
„Habt ihr sie Alle unterm Hut.
Und faßt ihr sie mit feurig schlauen Blicken“,
schrie ich – „verdammte verquiente Brut,
Wol um die schlanke Hüfte frei,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei“ – –
da platzte die Bombe, ein Jammergeschrei,
die Frau Geheime lag auf dem Rücken.

Und krach! auf die Diele das Wasserglas
und den Lesetisch, und heraus die Knute:
„Nu täuw, du schielige Zimperpute –
Karline, jetzt kommt der Kontrabaß!
jetzt will ich dir zeigen, wie man streicht!“
und rietsch, da hatt ich sie beim Wickel.
Ei, alle Wetter: dies fette Karnickel,
das war ja wie’ne Feder leicht!
Und plötzlich – Teufel, was war denn Das:
Fräulein Rosaura sank fassungslos
dem Herrn vom Frauenwohl in den Schooß,
die Pate schnappte leichenblaß
nach Luft: in meinen Fingern saß
– die Frau Geheime bibberte nur –
ihre ganze bezaubernde Lockenfrisur.
Und auf der grau strupphaarigen Platte –
mir ekelte – ein Schorf und Schinn
und Speck und Spinster, als klebte drin
die ganze abgekratzte Pomade
von zehn Jahrhunderten festgefilzt,
so eingeschimmelt und verpilzt.

Die ganze Bande lag in Krämpfen –
na wart’t, Canaillen, es kommt noch besser,
ich will euch schon die Ohnmacht dämpfen!
Und schnipp schnapp flitz: mein Federmesser:
herrjeh, wie wurden sie plötzlich munter –
Frau Klooß, geborene Freiin, schrie:
„Allmächtiger Vater, er mordet sie“ –
und holter di polter, stuhlüber stuhlunter,
als ob ein Satan zwischen sie führe,
das ganze gediegene Lesekränzchen,
germanische wie semitische Pflänzchen,
klabotter klabatter hinaus zur Thüre.

„So, Schatz!“ ich nahm sie sacht beim Kragen,
zum Glück hatt’ich noch Handschuh an –
„jetzt wollen wir mal, wie zwischen Mann
und Weib das manchmal soll passieren,
uns etwas näher inspiciren!“
Quietsch, legte sie los mit Zappeln und Klagen
und Dämpfelassen und Wasserschlagen –
weiß Gott, mir wurde wieder übel.
Na, ich spuckte mir’s weg – und „Na warte, du Zwiebel“
langt’ich die Knute vom Teppich hoch,
„bist endlich ruhig mit deinem Loch?
sonst gibt’s mit der da aufs Hinterstübel!“
Und rietsch raatsch runter die Brüsseler Spitzen
und Seidenfranjen und Sammetlitzen,
und schlitz – an Knöpfen war nicht zu denken,
so war die Zimpe verschnürt und verschnallt –
das Federmesser! und – – brrr, schnitt’s kalt
und heiß mir selber in allen Gelenken,
wie da aus Flunker und Flitter und Flatter,
aus Fetzengeknitter und Fadengeknatter
und Watte und Wolle und Fischbeinzacken
und Gummi-Busen und -Hinterbacken
mit Winseln und Betteln und Strampeln und Schelten
sich diese – vermickerten Knickknochen pellten.

Ich stand – na, wie das Kind beim Drecke.
Zum Henker! um diese verschrumpelte Schrippe,
dies Bastardklümpchen von Spinne und Schnecke,
dies dürre, vermuffte Altjungferngerippe,
da hatte ich Narr mich so geplagt?!
Zwar Jungfer – Das zu untersuchen
bei diesem verpimperten Hutzelkuchen,
das hätte wol kaum ein Arzt gewagt.
Ich konnte mich immer noch nicht fassen,
blos heimlich wünscht’ich: hätt’ich ihr doch
das Hemde wenigstens angelassen!
Pfui Teufel – wie sie da vor mir kroch
mit ihren Runzeln und Faltenschlitzen
und ihren Zotteln und schlaffen Zitzen
und ihren ausgetrockneten Waden
und eingetrockneten Hinterfladen,
und zwischen den schlotternden Schultern und Armen
auf der vermergelten Wirbelleiste
der griese, grindige Schädel gleißte:
mein Ekel stieg bis zum Erbarmen.

Lern aber einer die Weiber kennen!
Noch eben mitten in Plärren und Flennen:
kaum merkte sie meine Männerschwäche –
ich merkt’es selber erst durch sie,
es war die reine Telepathie:
da grinst und äugelt mich die freche
Vettel mit ihrer geschminkten Fratze
so von unten über die Achsel an,
daß mir’s durch beide Nieren rann.
Ich weiß nicht, ob die alte Katze
mich etwa zu – beglücken dachte,
ob sie sich über mich lustig machte,
ob diese abgetakelte Ratte
in ihrer kahlen Scheußlichkeit
meinte, sie sei dadurch gefeit:
ich sah nur unter der räudigen Platte,
nur zwischen den gelben, verschmuzten Runzeln,
den Pustelflecken und Zottenzunzeln,
dies weiß und rosa beschmierte Grinsen,
dies schlaue, gemeine Blicken und Blinsen,
und plötzlich faßte mich eine Wut:
mir schien das ganze verfaulte Blut
unsrer vergreisten, verspensterten Zeit
in dieser Hexe zusammengebreit,
und – „So, nu plärre, verwünschte Zicke,
jetzt bin ich mit meiner Geduld zu Rand!“
hob ich zum Hiebe die Knutenstricke,
da – – legt sich sanft um meine Hand
und rührt mich bis ins weheste Mark
wie junge Liebe so still und stark
und warm, um meinen Hals gebogen,
ein Arm, – und mild, voll Stolz und Huld,
tönt eines Atems leises Wogen:
„Laß ab! sie büßt mit ihrer Schuld.

Und wie sich nun mein Nacken wendet,
von Schauern mächtig überwallt,
da steh ich, fast von Scheu geblendet
vor dieser schimmernden Gestalt.
Im matten Glanz der Glühlichtglocken
ist ihre Nacktheit heller Tag,
es geht ein Schein von Stirn und Locken
wie Blütenschmelz im Frühlingshag.
Zur Hüfte nieder um die Brüste
fließt mantelschwer ihr lang braun Haar
und wogt und flimmert goldenklar,
als ob ein Morgenwind sie küßte.
Weiß leuchtet aus der schlanken Rechten,
zum Gruß geneigt und zum Gebot,
ein Lilienstab, den dunkelrot
zwei volle Rosen dicht umflechten;
so steht sie wehrend, wundersam
beglänzt. Und ich – mich überkam
ein Ahnen wie Erinnerung,
ein Sehnen neu und kinderjung:
ich hatte sie nie noch nimmer wo
gesehn, und wie mir dennoch so
ihr blauklar Auge, seelenweit,
und ihres Mundes Zärtlichkeit
jedwedes Faserchen tief innen
zu lauter Andacht ließ gerinnen –
ach war’s denn nicht, als sähe wieder
meine liebe Mutter zu mir nieder?
und nun verwirrt und fromm befangen
mein Blick an ihr zu Boden wollte
und doch, in bangem Hinverlangen,
wie so ihr Haar an Ohr und Wangen
und Brüsten schmeichelnd sie umrollte,
mein Herz nach ihrer Schönheit schrie,
als bebtest Du mir, Du mir wieder,
Du Eine Eine zu mir nieder
in deiner Reinheit, die mir nie
ein Wort noch Winkchen vorenthalten,
nicht Seel noch Leibs geheimste Falten,
als läs’ich ein ergründet Buch, –
und wie’s so immer tiefer wühlte
und süß und süßer mich umhüllte
der dunklen Rosen Wohlgeruch:
es riß mich nieder ihr zu Füßen
und machte meine Arme breit:
„Wer bist du, Weib, in deiner süßen,
in deiner milden, herben, süßen,
unsagbar süßen Herrlichkeit?“

Und aus der Rechten sacht zur Linken
läßt sie das Blumenzepter sinken,
dann spricht sie über mich geneigt,
nimmt mir die Geißel aus der Hand nun,
nimmt eines Teppichs bunten Rand nun,
indem sie ihn der Andern reicht,
und winkt ihr mit der Lilie: „Geh!
bedecke dich! es thut mir weh,
in deiner Blöße dich zu sehn.“
Und wieder über mich geneigt nun,
indeß die Andre scheu entweicht nun,
tönt ihres Atems leises Wehn:
„Was war’s doch, was in tiefsten Lüsten,
wenn Lippen sich und Seelen küßten,
den trunknen Blick dir ganz benahm,
was dich im Überdurst der Wonnen,
so in ein Andres ganz versponnen,
wie willige Blindheit überkam?
Dann warst du Mein! ich bin die Scham.
Mußt dich aber nicht gleich, mein Bester,“
senkte sie lächelnd die Lilienblüten,
„so um alles in Eifer wüten.
Die da, meine mißratene Schwester,“
nickte sie neckisch nach der Thür hin,
während sie mir den Scheitel zauste
und ihre zierlichen Nüstern krauste,
„Die da ist schon über Gebühr hin
durch die eigene Ohnmacht gestraft:
fehlt ihr zur rechten Freude die Kraft.

Hat ja viele Seelen zu Sklaven,
alle die Biedern, alle die Braven
vom werten Orden der Gleißnerschaft,
alle die zahmen, ewig alten,
sinnenlahmen Halben und Kalten,
scheint ein gar gewaltiger Bund,
ist aber doch nur – nun eben Schund.
Haben die Welt nie aufgehalten,
und Alles, was sie zu Stande brachten,
und ihrer Weisheit letzter Grund
ist – ihr gegenseitig Verachten.
Können sich nicht gesund betrachten,
weil ihrem armen dünnen Blut
jedes freie Lüftchen wehe thut,
und machen drum aus ihrer Not
ein Gebot.
Und, Lieber,“ streicht sie zart mein Haar,
„der Heuchler meint die Lüge wahr,
der Wahre muß ihn nur verstehn!
Wenn Kraft und Schönheit nackend gehn,
man würde sich nicht sehr beklagen;
doch etwas schwerer zu vertragen
ist Häßliches, bei Licht besehn.“

Und während silbern noch im Ohr mir
ihr fröhlich stolz Gelächter klingt,
winkt mit den Rosen sie empor mir
und spricht: „Ein schlechter Boden bringt
aus echter Wurzel schlechte Blüte,
und wer mit schwächlichem Gemüte
sich schämt, der ist zur Scham verdorben,
doch ist sie drum – nit ausgestorben.
Wer Löwe ist, Der gönnt der Katze
den Mäusefang in seiner Welt;
sie will auch leben. Jede Fratze
zeugt für den Gott, den sie entstellt.“

So beugt sie sich mit gnädigem Kusse
in heller Anmut zu mir hin,
ich aber fühle ihrem Gruße
mein ganz Gefühl entgegenglühn –
und nur noch, wie’s mich übermannte,
ich wieder an ihr niedersank,
mein Mund auf ihren Brüsten brannte,
ich ihre Lenden ganz umspannte,
ihr Haar mir um die Finger schlang,
die Stirn gewühlt in ihren Schooß –
und sie nur, hold und mütterlich,
am Ohr mich zupft: „Ich bitte dich,
mein lieber Freund! was willst? laß los!
ermuntre dich! du – träumst ja blos.“

Collection: 
1893

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