Der schlimmste Feind

Dies Volk, das seine Bäume wieder
Bis in den Himmel wachsen sieht
Und auf der Erde platt und bieder
Am Knechtschaftskarren weiter zieht;

Dies Volk, das auf die Weisheit dessen
Vertraut, der Roß und Reiter hält,
Und mit Ergebenheitsadressen
Frisch, fromm und fröhlich rückt ins Feld;

Dies Volk, das einst aus Cäsars Schüssel
Und Becher sich so gern erfrischt
Und sich, wie Mommsen, seinen Rüssel
An Cäsars Tischtuch abgewischt;

Dies Volk, das gegen Blut und Eisen
Jungfräulich schüchtern sich geziert,
Um schließlich den Erfolg zu preisen,
Womit man Straßburg bombardirt.

Dies Volk, das im gemeinen Kitzel
Der Macht das neue Heil erblickt
Und als „Erzieher“ seine Spitzel
Den unterjochten „Brüdern“ schickt.

Die Alten, Lieben, Wohlbekannten
Von Anno Sechsundsechzig her,
Schafott- und Bundesbeil-Votanten,
Sie schüfen Deutschland? – Nimmermehr!

Sie werden mit verschmitzten Händen
Entreißen euch des Sieges Frucht;
Sie werden euren Lorbeer schänden,
Daß euch die ganze Welt verflucht!

Frankreichs gekrönter Possenreißer
Wird nach Paris zurückgebracht;
Euch holt man einen Heldenkaiser
Aus mittelalterlicher Nacht.

Das Blut von Wörth, das Blut von Spichern,
Von Mars-la-Tour und Gravelotte,
Einheit und Freiheit sollt’ es sichern –
Einheit und Freiheit? Großer Gott!

Ein Amboß unter Einem Hammer,
Geeinigt wird Alt-Deutschland stehn;
Dem Rausche folgt ein Katzenjammer,
Daß euch die Augen übergehn.

Mit patriotischem Ergötzen
Habt ihr Viktoria geknallt;
Der Rest ist Schweigen oder Lötzen,
Kriegsidiotentum, Gewalt.

Es wird die Fuchtel mit der Knute
Die heil’ge Allianz erneun:
Europa kann am Uebermuthe
Siegreicher Junker sich erfreun.

Gleich Kindern laßt ihr euch betrügen,
Bis ihr zu spät erkennt, o weh! –
Die Wacht am Rhein wird nicht genügen,
Der schlimmste Feind steht an der Spree.

Collection: 
1886

More from Poet

  • From the German by Rossiter W. Raymond THE WEARY night is o’er at last! We ride so still, we ride so fast! We ride where Death is lying. The morning wind doth coldly pass, Landlord! we ’ll take another glass, Ere dying. Thou, springing grass, that art so green, Shall soon be rosy red, I...

  • Verrat – Ihr habt's gesprochen,
    Verrat – Ihr habt's erkannt.
    Es sei mit Euch gebrochen;
    Die Brücken sind verbrannt.
    Doch habt Ihr selbst vergessen,
    Wie Ihr das Volk verkauft,
    Wie Ihr Euch auf...

  •  Mai 1872.

    „Seid umschlungen, Milliarden!“
         Hör ich mit Begeisterung
    Singen unsre Einheits-Barden:
         Welche Federn! welcher Schwung!
    Sah man jemals solche Beute?
         Wir...

  •                
                        Februar 1871

    Germania, der Sieg ist dein!
    Die Fahnen wehn, die Glocken klingen,
    Elsaß ist dein und Lotharingen;
    Du sprichst: „Jetzt muß der Bau gelingen,
    Bald holen wir den letzten Stein.“

    ...

  •                

    Land der Sehnsucht, drin die Berge wie der Freiheit Prachtstatüen,
    Wie aus blankem Gold und Silber von dem Herrn gegossen, glühen;
    Berge, die er seinem Himmel als die letzten Säulen gab,
    Wiege seiner Wettterwolken, seiner Adler einsam Grab!

    ...