Späte Erkenntniß

I.
Weil ich schwieg mit Schrift und Munde,
Nur mit meinen Augen sprach,
Bis zur unglücksel'gen Stunde,
Wo ich Thor das Siegel brach! -
Hat Sie mich so gut verstanden
Bis ins tiefste Herz hinein;
Lag in süßen Zauberbanden,
War mit ganzer Seele mein!

Da ward's Frühling und es sprangen
All die Knospen groß und klein;
Da ward's Frühling und es sangen
All die tausend Vögelein.
Und mir war's, als wenn sie fragten
Ein' das ander': liebst du mich?
Und ich meinte, daß sie sagten:
Ja, ja, ja, herzinniglich!

"Hörst Du, Liebste, welch Entzücken
Aus der Vöglein Kehle spricht?" -
Ihre Antwort war ein Nicken
Und ein stummes Huldgesicht.
Doch ich Thor, ich frug und wühlte,
Abgerungen hab' ich Ihr,
Daß Sie aussprach, was Sie fühlte,
Daß Sie brach des Schweigens Zier!

Hätt' ich, ach - es jährt sich wieder -
Hätt' ich noch die Liebste mein,
Ich ertrüg' trotz aller Lieder
O, wie gern des Schweigens Pein!
Liebe, die sich ausgesprochen,
Angelobte Herzenstreu,
Ach, wie leicht ist die gebrochen
Und wie schnell - vorbei, vorbei!

II.
Daß Du aussprachst gar mit Eiden
Deiner Liebe Leidenschaft,
Daß Du mich nicht ließest leiden
Hoffnungsvoll, doch zweifelhaft;
Daß Du nicht trotz Sturm und Klagen
Das Geheimniß hast bewahrt,
Daß Du sagtest, was nie sagen
Soll ein Mund, o das ist hart! -

Von dem Himmel sollst du lernen
Mensch! der Liebe schwere Kunst:
Heute lacht es aus den Sternen
Wie in heller Liebesgunst;
Morgen sind die Stern' verhüllet
Vom Gewitter schwarz und graus,
Deines Gottes Donner brüllet,
Und sein Blitz zerschellt dein Haus.

Einmal wie in Liebesschwäche
Gab sich Gott der Menschheit bloß,
Ließ die warmen Liebesbäche
Aus dem Meer der Gnade los;
Warf entgöttert an die Brüste
Sünd'ge Menschen sich; doch ach!
Wie das Schiff an harter Küste,
So an unsrer Brust er brach. -

Mensch - ist nur im Hoffen selig,
Im Erwarten gut und treu,
Ist sein Anhang dir gefällig,
Bleib' ihm allfort fremd und neu.
Drum, daß Du trotz Stürmen, Klagen
Nicht das Siegel hast bewahrt,
Daß Du sagtest, was nie sagen
Soll ein Mund - o das ist hart!

Das ist hart - und unsers Scheidens -
Trotz der Liebe Uebermaß -
Scheidens, ach, und bittern Meidens
Grund und Ursach' ist nur das! -
Nur das! und wie rauh auch klinget
Dieses schweren Liedes Klang,
Liebste, wahr ist, was hier singet,
Der Dich liebt sein Lebelang!

Collection: 
1855

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