Wahnwitz

I.
Mich treibt die Liebespein
Unstät durch Haid und Hain,
Bis ich mein Liebchen find'
Und meine Ruh'.

Mich jagt die Liebesqual
Rasch über Berg und Thal,
Bis ich mein Liebchen find'
Und meine Ruh'.

Mich peitscht die Liebesnoth
Durch Früh- und Abendroth,
Bis ich mein Liebchen find'
Und meine Ruh'.

Mich hetzt die Liebeswuth
Toll hin durch Brand und Fluth,
Bis ich mein Liebchen find'
Und meine Ruh'.

Doch, wie mein Liebessinn
Mich treibt auch her und hin,
Ach, nimmer nimmer find'
Ich Lieb und Ruh'! -

II.
Einst hab' ich Sie gebeten
In Liebesschwärmerei:
Herzliebste, laß doch malen
Für mich Dein Conterfei!

Dein liebes holdes Köpfchen,
Dein Schönstes: Aug' und Mund!
Bis wo das Herz Dir klopfet
Mit meinem eng im Bund.

Mir ist, ich muß verreisen
Einmal von Dir recht weit,
Und in der Ferne weilen
Viellange, schwere Zeit.

Da möcht' ich dann, wenn Alles
Mich kalt und fremd umgibt
Zur Hand das Bildniß nehmen
Des Engels, der mich liebt.

Und auf die Zeit vergessen,
Die schwer vorüber rann,
Und in das Land mich träumen,
Wo ich Dein Herz gewann.

Auch hat mir einst gesungen
Der alte Harfenmann
Ein Lied voll blauer Wunder,
Ein Lied, das so begann:

Romanze vom treuen Kuno

"Es war der treue Kuno,
Der zog herum im Land,
Ein Junge niemals unfroh,
Geliebt von Jedermann!

Doch mitten in dem Jubel
Befiel ihn oft ein Gram,
Und ängstlich an den Busen
Fuhr er mit seiner Hand.

Als wenn er etwas suchte
Mit Bangniß und mit Angst,
Als hätt' er es gefunden,
Frohlockte er sodann.

Die Ritter alle schwuren,
Er wäre herzenskrank,
Allein die Frau'n vermuthen
Ein heimlich Liebespfand.

Und sieh, die Frau'n, die klugen
Sie hatten recht geahnt:
Nicht lag darnach fiel Kuno
Im mörderischen Kampf -

Die Mörder aber wurden
Vom Zauber laß und lahm,
Als sie aus Steingefunkel
Das Engelsbildniß sah'n.

Sie standen eingewurzelt
Rund um den todten Mann,
Bis spät mit Spieß und Hunden
Die wackre Scharwach kam.

So standen sie und lugten
Die Schar verwundert an,
Vergaßen Fluch und Murren
Und Flucht und Widerstand.

Und büßten alsbald blutend,
Was blutig sie gethan;
Der Kuno aber ruhet
Im Friedhof zu Brabant."
***

Die Lied vom alten Harfner
Der blauen Wunder voll -
Mein Herz ging hoch und fluthend,
Weil es in Ahnung schwoll -

Das sang ich vor der Liebsten,
Es klang so wehmuthweich,
Ihr fiel der Mond ins Antlitz,
Es war fast todtenbleich.

Und tief im Wasser standen
Die blauen Augen Ihr,
So tief, wie jetzt zwei graue,
Die beiden meinen mir. -

III.
Der Maler mit dem Schnurbart
Und mit dem Krempenhut,
Der konnte trefflich malen
Und traf die Augen gut.

Just wollt' ich ihn bewegen
Mit Geld und gutem Wort,
Da kömmt dem Mann ein Brieflein,
Und fort muß er, weit fort. -

So hab' ich nun kein Bildniß
Von Malerhand gemalt;
Doch seh' ich stets dasselbe -
Vom Vollmond überstrahlt:

Zwei glänzend bleiche Wangen,
Zwei Augen blau und naß,
Die Lippen halb von Schrecken
Und halb von Mondlicht blaß. -

So liegt's in frischer Färbung
Zwar nicht wie Kuno's Bild
Von außen, wenn ich sterbe,
Doch innen - zaubermild!

Und wenn im wüsten Walde
Mich einst der Tod erhascht,
Und Luchs und Wolf und Rabe
An meinen Leichnam nascht:

Wird Wölflein, Luchs und Rabe
Am Herzen stille steh'n,
Erstaunt am Bildniß gaffen
Und hung'rig schlafen geh'n.

Und endet auf dem Wasser
Des Liebelebens Lauf,
So zehren Hai und Krabbe
Gewiß mein Herz nicht auf. -

Nur wünschen möcht' ich wahrlich
Den Tod im Kabinet',
Ich wollte dann vermachen
Den Badern mein Skelett.

Den Aeskulapen ging' es
Wie Kuno's Mördern dann,
Bis Du, alt Liebchen kämest
Zu lösen ihren Bann.

IV.
Ich bin wohl bei Sinnen
Und hab' auch Kopf,
Wie könnt' ich denn sonsten
Mich fassen am Schopf!
Der will nicht von hinnen,
Ich brauch' ihn nicht,
Ich habe ja sonsten
Ein schönes Gesicht;
Und könnte mich minnen,
Mich Mann der Pein
Leicht Eines sonsten,
Darf aber nicht sein!

Ich einzig muß rinnen
Im Strom der Noth,
Kein Anderes sonsten,
Das ist so Gebot!
Ja, das mich gewinnen
Will, hasse mich, -
Nie anders sonsten
Kann huldigen ich.

V.
Wo ich gehe, geht Eins mit mir,
Ein abscheulich, wüthiges Thier.

Weiß nicht, ist es Hund oder Katze,
Eine häßliche, höllische Fratze.

Ein'ge meinten, ich wär' es selb',
Mit dem Lippenbarte rothgelb.

And're, die das besser verstanden,
Machten ihren Glauben zu Schanden.

Sonderlich, die ich da geliebt,
Mir das löbliche Zeugniß gibt:

Wie ich immer ganz auserlesen
Fromm und gebührlich sei gewesen.

"Müßte nur" - so setzet sie bei -
"Seit wir nicht mehr Eines wir Zwei,

So in Sitte als im Betragen
Gählings haben umgeschlagen?!" -
***

Gelt, das weißt du, Vortrefflichste, nicht
Wenn ein schwärmendes Herze bricht,

Was daraus für Geister entspringen,
Welche Geister hineindringen;

Wie zum Unholde werden kann
Ach, der frömmste, sanfteste Mann!

VI.
Ich habe eine Schwalbe geseh'n,
Die war ziellos,
Ich habe einen Menschen geseh'n
Ganz beispiellos.

Der Mensch und die Schwalbe,
Sind Jedes das Halbe,
Das Ganze bin ich
Seit Liebe entwich.

VII.
Sonst waren lichte Felder
Mein liebster Aufenthalt;
Jetzt passen düstre Wälder
Zu meiner Schmerzgestalt.

Im Felde ist's so heiter,
Vom Lerchensang' so voll,
Da muß ich eilig weiter,
Wenn ich nicht knirschen soll.

Die Saat in grüner Hoffnung
Gleicht meiner Jugendzeit,
Ach, ach aus grüner Hoffnung
Fiel graue Wirklichkeit!

Doch in den Waldes Hallen,
Wo seufzt und ächzt der Wind,
Wo grimme Thiere wallen
Und gift'ge Pilze sind -

Da ist es ganz und eben
Wie mir in Kopf und Herz:
Ein finst'res Sein und Weben
Bei stillem Groll und Schmerz!

VIII.
Dreimal hab' ich errungen
Dasselbe Eine Herz,
Und dreimal auch bezwungen
Denselben Einen Schmerz.

Dreimal bin ich ganz trunken,
Wenn auch auf kurze Zeit,
Doch bis zum Grund versunken
Im See der Seligkeit.

Lustträufend aus den Fluthen
Stieg ich sodann und sprang
Mit Prasseln in die Gluthen
Auf meinem Lebensgang.
***

Der See ist abgelaufen,
Verlodert ist die Gluth,
Eins lebt im Aschenhausen,
Mein Schmerz in stiller Wuth.

IX.
Seit ich mein Lieb verloren
Und verlassen bin,
Rag' ich auf kahlem Fels
Eine Raubruin'.

Seit ich mein Lieb verlor
Und vereinsamt steh',
Lieg' ich ein Eiland öd
In empörter See.

Seit ich mein Lieb verlor
Und so leb' allein,
Steh' ich im Leichenhof
Ein vergeßner Stein.

Wohl war ich einsam auch
Schon vordem und eh,
Doch bin viel einsamer
Ich jetzund als je.

X.
Auf einer bleichen Haide,
Da liegt ein blut'ger Mann,
Er hat vor Gram und Leide
Es selbst sich angethan.

Die ihm ihr Herz versprochen,
Und Treu' gelobet hat,
Hat ihm die Treu' gebrochen,
Da ward verübt die That.

Doch, weil er hat versuchet
Den Dolch statt Rosenkranz,
Ward seine Seel' verfluchet,
Doch nicht verworfen ganz:

Mit immer offner Wunde
Muß liegen er so lang,
Bis daß im Haidegrunde
Der Sand sein Blut verschlang.
***

Ich selber bin die Haide,
Mein Herz der todte Mann,
Der sich vor Gram und Leide
Den Tod hat angethan.

XI.
Weil ich noch Thränen hatte
In meiner Traurigkeit,
Da blühte auch noch Hoffnung
Für ferne bess're Zeit.
Gar süßes Labsal spendet
Der Hoffnung Thränenthau,
Erweckt hellgrüne Blätter
Und Blüthen himmelblau! -

Die Thränen sind vertrocknet,
Zur Steppe ward mein Herz,
Drauf wälzen sich zwo Schlangen:
Der Mißmuth und der Schmerz.

XII.
Zu unterst tief im Herzen
Ganz klein - ist ein Gemach,
Da sitzt ein Mann voll Schmerzen,
Spielt mit sich selber Schach.

Die Königin zu fahen
Er nur im Sinne hat,
Doch wird er stets beim Nahen
Selbst früher Schach und matt.
So spielt er unabläßig
Und schilt sich "dummen Tropf!"
Und schüttelt übermäßig
Den toll erhitzten Kopf;

Schlägt wild sich vor die Stirne
Und brütet Nacht und Tag,
Wie die gekrönte Dirne
Er endlich haschen mag?

Umsonst. - Und ungestümer
Schlägt er mit Fäusten drein,
Schlägt Alles rund in Trümmer,
Sich selbst - wird's Ende sein.

XIII.
Da seht, ach seht dies ärmste Weib,
Das hat es schwer getroffen:
s' Ist eine Mutter, der im Leib
Abstarb ihr süßes Hoffen!

Da ächzt sie nun in stillem Leid',
Ruft wohl auch laut um Hilfe -
Umsonst; es ist auf öder Haid',
Der Wind rauscht kalt im Schilfe. -

Nicht wahr, das arme, arme Weib!
Mir selbst wird weher, wärmer -
Da fühl' ich jäh, was ich beschreib'
Bin ich - nur noch viel ärmer! (S. 217 -218)

XIV.
Was sagt der todte Blick,
Was sagen hohle Wangen?
"Daß schweres Mißgeschick
Sei über dich ergangen!"

Du arges Augenlicht,
Ihr treulos argen Wangen,
Wie gern verschwieg' ich nicht,
Was mit mir vorgegangen!

Wie bäum' den Leib ich oft
Und spute Füß' und Hände,
Als hätt' ich nicht verhofft,
Daß ich mein Glück noch bände.

Und ihr, ei das ist arg!
Mögt wider mich aussagen,
Enthüllen, was ich barg -
Mein gänzliches Verzagen!

XV.
Sie sagen - das ist nicht wahr! -
Sie sagen: mein Lieb sei gestorben,
Verborgen hat es sich zwar,
Verborgen ist doch nicht gestorben!

Sie sagen: Es läg' im Grab -
Und zeigen mir einen Hügel,
Drauf steckt ein schwarzer Stab,
Der hat zwei schwarze Flügel -

Ich kenn' den Stab - 's ist ein Rab',
Der sitzt mit gespreiteten Schwingen
Auf meiner Herzliebsten Grab,
Und will Ihr das Herz bezwingen.

Ho, sachte, du diebischer Rab',
Ich bin ein tödtlicher Schütze,
Und ziel' ich jäh und drück' ab -
Was war dir dein Diebstahl nütze! 

XVI.
Weil ich geliebt noch war,
Ihr durfte am Herzen liegen,
Da kam oft eine Schar,
Wie Herbstes die Vögel fliegen,
Von guten Gedanken angeflogen,
Von frommen Gefühlen eingezogen.

Wie ich noch war geliebt,
Ihr durfte liegen am Herzen,
Da kam, wie's Falter gibt
Im Maien und lauen Merzen,
Ein Schwarm Anekdoten von "Josef", "Fritzen",
Von schönen Charaden, zarten Witzen.

Doch seit ich ungeliebt
Mir selbst muß in Haaren liegen,
Hört, was sich jetzt begibt,
Was jetzt für Vögel zufliegen:
Für gute, Titanengedanken kommen
Und Erisgefühle, statt der frommen!

Seit ungeliebt ich bin,
Mir lieg' im selbeignen Haare,
Hört, wie es Herz und Sinn
Ergeht, dem kläglichen Paare:
Das Eine traurig träumet vom Sterben,
Das And're trotzig brütet Verderben.

Collection: 
1855

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