1.
"Odysseus" hieß das Schiff, das uns im Flug
Von des Piräus klassischen Gestaden
Auf Adrias Wogen nach Venedig trug,
Mit einem wirren Menschenschwarm beladen.
Der Völker Sprachen trafen bunt das Ohr
Und ihre Trachten mischten sich noch bunter;
Auch blüht' an Bord ein schmucker Damenflor,
Doch du erschienst uns allen fast ein Wunder.
Solch königliches Weib - nie sah ich es,
Als wär' leibhaftig unter uns erschienen
Die Aphrodite des Praxiteles
Mit einem Zug des Schmerzes in den Mienen.
Im Spitzenschleier leicht das Haupt verhüllt,
Im dunklen Haar die Blüte der Granate,
Dein Gang, dein Thun von solchem Reiz erfüllt,
Als zög' die Grazie selber deine Pfade.
Und sangst in deines Volkes Weise du,
Welch süßer Wohllaut strömte dir vom Munde!
Wir hörten dir entzückt, begeistert zu,
An dich gefesselt war die ganze Runde.
Mit scheuem Tritte folgten wir dir nach,
Wie unsrem Schiff die friedlichen Delphine;
Du zeigtest uns Odysseus' Felsendach
Und der Phäaken qualmende Kamine.
Wir staunten an in mondbeglänzter Nacht
Des Südens Glanzgestirn am Himmelsbogen,
Und unter uns des Meeres Funkenpracht
In Furchen, die des Dampfers Kiel gezogen.
Der schönen Künste keine war dir fremd,
Doch bleibt dein Element das Reich der Farben;
Drum zieht's dich hin, wo nichts dein Streben hemmt
Und du nicht mußt an geistiger Nahrung darben. -
Stets hatten in der bunten Menge leicht
Und sicher unsre Augen sich gefunden;
Und als Venedigs Hafen wir erreicht,
Da waren auch die Herzen fest verbunden.
2.
Als "Cicerone" lieb' ich es zumeist,
Durch Kirchen und Museen dich zu führen,
Die Wirkung höchster Kunst auf deinen Geist
Und dein empfänglich Frauenherz zu spüren.
Stets bleiben unsrer Wandrung erstes Ziel
Bellinis "heilige Conversationen";
Sie tönen fast wie Sang und Saitenspiel
Der Engel vor der Jungfrau Marmorthronen.
Giorgione, Palma, Paolo Veronese,
In deren Heiligen wir verkörpert schauen
Venedigs Reichtum, Pracht und Macht und Größe,
Der Männer Stolz, die Schönheit seiner Frauen.
Dann Tizian, ein Fürst in seiner Kunst!
Er lebte wie ein Fürst, in dessen Reichen
Nie sank des Ruhmes Sonne; seine Gunst
Sucht' mancher Fürst, ihn achtend seinesgleichen.
Er stürmt empor die steile Ruhmesbahn
Von Sieg zu Sieg, zu immer höherm Streben;
Er hält uns fest in seinem Farbenbann
Und zieht in der "Assunta" uns hinan,
Bis mit der Jungfrau wir entzückt entschweben.
3.
Die Gondel trägt uns leise hin
Durch der Lagune Wogen,
Gleichwie die Sterne schweigend ziehn
Am blauen Himmelsbogen.
Mein Haupt in deinen Armen ruht,
Dir lind ans Herz geschmieget,
Wie dort der Mond in sanfter Glut
Sich auf den Wellen wieget.
Doch wenn ich dir ins Auge schau,
Recht tief hinein - wie gerne
Vergeß' ich da des Himmels Blau
Und all die goldnen Sterne!
Mich dünkt, als ob da innen mir
Geheime Zauber winken,
Als müßt' ich durch die Augen dir
Hinab ins Herze sinken
Und mich in seinen Tiefen bang
Und sehnsuchtsvoll verbluten,
Wie unsres Schiffers weicher Sang
Auszittert auf den Fluten.
4.
Tief am Fuß des Lykabettus
Liegt in einem schattigen Garten
Hold versteckt dein Vaterhaus,
Wo die Bienen des Hymettus
Summend ihres Amtes warten,
Emsig fliegend ein und aus.
Unter Rosen, unter Myrten
Lagst, ein Kind mit braunen Wangen,
Hier in duftigen Blumen du;
Hoch im Laub die Tauben girrten,
Und Ilissos' Wellen sangen
Leise murmelnd dich zur Ruh.
Und die Bienen, die im Kreise
Rings an all den Blumen nippen,
Flogen rasch zu dir heran,
Legend ihren Honig leise
Auf die kleinen Purpurlippen,
Wie dem Plato sie gethan.
Traun, ich wundre mich nicht wieder,
Da solch Wunder sich begeben,
Daß die Küsse, holdes Kind,
Daß die Worte, daß die Lieder,
Die den Lippen dir entschweben,
Noch voll attischen Honigs sind.
5.
Nun flutet wie scheidendes Grüßen
Durchs Fenster das Abendlicht;
Ich sitze dir schweigend zu Füßen
Und schau dir ins Angesicht.
Du neigst dich herab, und die feuchten
Locken umhüllen mich sacht,
Dein Mund und dein Auge nur leuchten
Herein in die dämmernde Nacht.
Mich dünkt, ich lieg' unter dunkeln
Wogen versunken im Meer -
Korallen und Perlen funkeln
Um den seligen Träumer her.
6.
So still und stumm verlebst du manchen Tag
Und schlägst dein dunkles Auge träumend nieder,
Als hingst du längst versunk'nem Glücke nach,
Du sinnst und suchst, und ach! es kehrt nicht wieder.
Und eine Pilgerin von seiner Gruft
Schleicht dir ins Aug', die einsam stille Thräne,
Als ob sie sich aus schwüler Grabeslust
In deiner Wimper kühlen Schatten sehne.
So träumst du fort, bis seinen Frieden gießt
Der Abend auf des Tags erregte Wogen,
Bis Dämmerung die Erde sanft umfließt
Und leise kommt die Nacht heraufgezogen.
Dann ist die Zeit, in der dein Geist erwacht
Und, ganz er selbst, in neuem Leben waltet,
Gleichwie die Lotosblume ihrer Pracht
Geheimste Zauber nur dem Mond entfaltet.
7.
Vom Niketempel schautest gern
Du weithin über Meer und Land,
Wenn am Parnaß verglühend fern
Im Purpurgold die Sonne schwand.
Die Theseusstadt rings um dich her,
Die Wunder der Akropolis,
Und draußen das saronische Meer,
Aegina dort, hier Salamis.
Dann des Piräus Mastenwald
Und weiterhin Akro-Korinth,
Moreas Berge, kahl und kalt,
Bei Hydra Flaggen hoch im Wind.
Doch sieh! nun glänzt mit einemmal
Der Parthenon in goldnem Duft,
Den eingesog'nen Sonnenstrahl
Ausströmend in die klare Luft.
Bei Sunion schwellt der Abendhauch
Noch weiße Wimpel und - o Schmach! -
Dorthin entfloh der Falsche auch,
Der frevelnd dir die Treue brach.
8.
Mein Kind, wir haben uns gefunden
Nicht in der Freude Wunderland;
Uns hat das bitt're Leid verbunden,
Des gleichen Schicksals schwere Hand.
Ein Schmerz, der herbste aller Schmerzen:
Die gänzliche Verlassenheit,
Hat fest vereint zwei fremde Herzen
Für alle Zeit und Ewigkeit.
Was Glück erschafft, das kann verschwinden
Leicht wie des Glückes Sonnenschein;
Doch die im Unglück sich verbinden,
Mein Kind, die trennt der Tod allein.
9.
O frage nicht, warum oft leise
Ins Aug' mir eine Thräne fließt,
Wenn eines schönen Liedes Weise
Dein Mund mit einem Kusse schließt!
Du weißt ja nicht, welch tiefe Wunde
Dein Singen meinem Herzen schlägt,
Das schon das Weh der Scheidestunde,
Die Angst der Zukunft in sich trägt.
Nun eilst du bald auf spiegelglatten
Meerwogen in dein Heimatland,
Wo einst in der Platane Schatten
Die Wiege deiner Kindheit stand.
Doch ahnst du kaum, wenn dir im Süden
Tiefdunkel Meer und Himmel blau'n,
Wie kalt auf mich, den Wandermüden,
Des Nordens Nebel niedertau'n,
Und wie zu dir in späten Jahren
Noch immer die Gedanken fliehn,
Wenn über mir in dichten Scharen
Die Kraniche gen Mittag ziehn.
10.
Sie werden in die dunkeln Haare
Dir einst die blü'nde Myrte winden
Und führen dich zum Traualtare,
Dem fremden Mann dich zu verbinden.
Sie werden deine Schönheit preisen,
Der Ehe Glück, des Hauses Segen,
Viel goldne Tage dir verheißen
Und - was sie sonst zu reden pflegen.
Doch du wirst stumm die Blicke senken,
Dem Schlage deines Herzens lauschen
Und sinnend jener Tage denken,
Verträumt bei der Lagune Rauschen.
11.
Nun ist dahin die goldne Zeit,
Des Abschieds bange Stunde schlägt;
Schon liegt das Schiff zur Fahrt bereit,
Das dich zurück zur Heimat trägt.
Die Flagge flattert hoch am Mast,
Geschwellt vom regenfeuchten Nord,
Und jedes eilt in wilder Hast
Mit seiner Habe noch an Bord.
Die Glocke tönt, es gellt ein Pfiff,
Zum Ufer fliegt zurück mein Kahn;
Aufzischt der Dampf, es rauscht das Schiff,
Sich brüstend wie ein stolzer Schwan.
Hoch stehst du an des Schiffes Rand,
Und unter Thränen lächelst du,
Das Tüchlein schwenkend mit der Hand,
Den letzten Scheidegruß mir zu.
Fahr wohl, fahr wohl! Du nimmst mit dir
Mein ganzes Herz und all mein Glück
Und lässest in der Fremde hier
Trostlos und einsam mich zurück.
12.
Nach Jahren wieder wandl' ich hin
An Lido's langgestrecktem Strand,
Und unvermerkt ist Herz und Sinn
Dem schönen Hellas zugewandt.
Von Süden her weht Lenzesluft,
Die weithin weiße Segel schwellt,
Und Veilchen- und Orangenduft
Durchströmt die sonnbeglänzte Welt.
Und sieh! erstrahlt auf Wolken nicht
Im fernen Süd dein holdes Bild,
Verklärt von überird'schem Licht,
Und grüßt herüber engelmild? -
Hoch wie mein Herz wallt auf das Meer
Und trägt als einen fernen Gruß
Mir zwischen Tang und Muscheln her
Den grünen Oelzweig vor den Fuß.
Ich nehm' ihn auf - er kommt von dir -
Und drück' ihn an die Lippen sacht.
Hab Dank! er ist ein Zeichen mir,
Daß du in Frieden mein gedacht.