Weißer Nacken

Ein Saal voll Beethovenergriffenheit.
Ich fühl's, wie allen rings das Aug sich feuchtet,
Wie aus den Seelen ihr den Alltag scheuchtet,
Wie ihr jetzt alle fromme Dichter seid.

Und doch, so einsam ihr euch alle deuchtet,
Ich seh entzückt, zum Küssen nah, doch weit,
Wie vor mir warm und weich, aus dunklem Kleid,
Ein Schnee im Mondschein, weiß ein Nacken leuchtet.

Ein Frauenhals, so hold und heiß verlockend,
Mein Sünderherz, im warmen Busen stockend,
Nicht höchste Kunst kann jetzt dein Glühn verwehn.

Ihr Lauscher rings, die jetzt der Rhythmus adelt,
Lauscht, lauscht! Ich trag's, wenn ihr mich tadelt!
Mich laßt nur schaun und ganz im Schaun vergehn ...

O du Alle aus jungen Greisenbäumen,
Wie lieb' ich dich als stillen Zufluchtsort
Mit deinen märchendunklen, kühlen Räumen,
Fernnah der Großstadt überlautem Wort!

Kein Sommer glüht in dir, kein Herbst verdorrt,
Die Wandrer Lenz und Winter aber säumen
Und gehn nur zögernd, ungern aus dir fort:
Wer dich betritt, sinkt gleich in tiefes Träumen.

Nur andre Einsame begegnen mir,
Die mich, mit sich beschäftigt, gar nicht sehen
Und, dunkle Schatten, durch das Dunkel gehen.

Heut trifft mich hier ein Freund. "Was tust du hier?"
Staunt er mich an. Ich, ohne Wimpernsenken:
"Ich? Ich geh her an meine Liebste denken ..."

aus: Das neue Buch. Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919

Collection: 
1900

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