Zwei Töne

Auf dem braunen Zweig des kahlen Baumes,
Der mein Fenster streift, sitzt nun ein Vogel
Jeden Früh.
Er ist jung und übt mit großem Eifer
Eine neue, aber gar nicht leichte
Melodie.

Nur zwei Töne; mit gesenktem Köpfchen
Probt er immer wieder diese neue
Melodie.
Wie ein junger Priester bei der Messe
Beugt er sich zum Zweiglein und ist fleißig
Jeden Früh.

Aber heute, da die Sonne leuchtet,
Übt er nicht mehr, heute singt er seine
Melodie:
Frühling heißt sie! Und ein grünes Knösplein
Hat er aus dem Zweig herausgesungen
Heute früh. 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908

Collection: 
1900

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