Aus der "Novelle des Lyrikers"

Als ich nun eintrat in den Saal,
– Wie schon so manches, manches Mal –
Als ich nun eintrat in den Saal
Und in das dunkelnde Gemach
Funkelnd das Licht des Tages brach,
Daß ich ihr just ins Auge sah,
Ich weiß nicht, wie mir da geschah!
Sie saß, der Thüre zugewandt,
Als wär' ihr Blick durch mich gebannt,
Als hätt' sie mich noch nie gesehn,
Als wär' ihr nun das Heil geschehn,
So saß sie da und schaute.
Mir schlug das Herz, mir graute,
Und war Entzücken doch im Graun,
Die schöne Fraue anzuschaun.
Da war mir, daß der dunkle Saal
Sich dehnte weit mit einem Mal,
Und weit, wer weiß, wie ewig weit,
Saß nun mein Glück und Lust und Leid
Und winkte mir, zu kommen,
Und winkte mir, zu kommen.
Und, da ich ihm entgegenging
Und mich ihr stummer Blick empfing,
War mir, als wär' der Weg zu ihr,
Als wär' der Weg von mir zu ihr
Viel tausend Meilen, ohne End',
Daß ich ihn nie vollenden könnt'
Und müßt' in Ewigkeiten
Ihr nun entgegenschreiten.
Und durch den ungeheuern Raum
Ging ich und ging, und wie im Traum,
Und fühlte, wie vor Sehnen
Sich lösten meine Thränen,
Und wie ich, weinend wie ein Kind,
Vor Sehnen und vor Thränen blind,
Mich spornte, nicht zu weilen,
Als könnt' sie mir enteilen.
Da stand sie, wie im Traume, auf
Und fing mich noch im Schwanken auf
Und hielt mich fest umfangen.
Nun weiß ich: über Raum und Zeit
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Ist heut' mein Herz von mir zu ihr,
Und ist ihr Herz von ihr zu mir
In sehnendem Verlangen
In Hangen und in Bangen
Den weiten Weg gegangen ...

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900

Collection: 
1900

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