Wanderers Nachtlieder

1.
Scheiden
Wenn sich ein junger Knabe muß
Von seinem Mädchen scheiden,
Wie bringt doch jeder letzte Kuß
Statt Lust nur neues Leiden!

Und wenn erst gar die Stunde schlägt,
Und er sich losgerissen,
Das arme Herz es kaum erträgt,
Das Auge will zerfließen.

Nun geht er seiner Straße nach,
Die Brust will ihm zerspringen;
Was kümmert ihn der Frühlingstag,
Und ob die Vögel singen!

Bis um ihn her sich weit und breit
Die stille Nacht geschwungen,
Da hat er denn sein Herzeleid
In Liedern ausgesungen.

2.
Klage
Erde, fröhliche Erde,
Warum schweigest du so? -
"Kann ich die Sonne nicht sehen,
Werd' ich nimmer froh."

Wolken, schweifende Wolken,
Warum hemmt ihr den Flug? -
"Möchten die Sonne noch sehen,
Sehen sie nimmer genug!"

Vögel, singende Vögel,
Warum klagt ihr so sehr? -
"Ach, unsre freundliche Sonne
Sehen wir lange nicht mehr!"

Herz, du mein armes Herze!
Hast ja dasselbe Leid:
Ach, deine freundliche Sonne
Ist ja so weit, so weit!

3.
Rückblick
Dort hinter den schwarzen Bergen
Steht meines Liebchens Haus,
Da schaut sie jetzt zum Fenster
In den dunkeln Garten hinaus;

Schaut nach der Gartenpforte,
Wo ich von dannen schied,
Und spät in die dunkle Ferne,
Und singt ein Abschiedslied.

Naß sind vom Thau die Blumen
Und auch das grüne Gras,
So sind auch ihre Augen
Jetzt wohl von Thränen naß.

Ich späh' nach ihrem Fenster,
Nach ihrem hellen Licht,
Nach ihren hellen Augen -
Und seh' doch Alles nicht.

4.
Trost
Ich habe geruht und geträumet,
Daß ich mein Liebchen säh',
Und hinter den dunkeln Bergen
Da steigt der Mond in die Höh'.

Welch freundlich Grüßen bringt er
In seinem milden Schein
Der Erde von ihrer Sonne
Und mir vom Liebchen mein!

Und rings in Fern' und Nähe
Wie wird es hell und klar!
Und auch in meinem Herzen,
Wo's erst so dunkel war!

Nun kann ich fröhlich wandern
In die helle Frühlingsnacht:
Sie hat mich ja gegrüßet!
Das hat mich so froh gemacht!

5.
Rückblick vom Berge
Freud', o Freud'! aus meinem Thale
Plötzlich dort ein Schimmer bricht,
Ja, das ist in Liebchens Kammer
Ihrer Lampe stilles Licht.

O du Mond und all ihr Sterne,
Was noch brauch' ich euren Schein?
Strahlt doch dieser kleine Schimmer
Sonnenhell in's Herz hinein! -

Wenn ihr lieben goldnen Strahlen
Denn auch ihr in's Auge scheint,
In die schönen lichten Thränen,
Die mein Mädchen um mich weint:

Flammet auf in hellem Schimmer,
Daß sie wieder fröhlich blickt
Und in tiefster Seele fühlet:
Diesen Gruß der Liebste schickt!

Collection: 
1844

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