"Heute will der Mai von hinnen schweben,
Ohne Küsse darf er nicht entschwinden!
Liebchen, sei's auch nur ein Stündchen eben,
Laß heut' Nacht dich in der Laube finden."
Also schrieb ich, und nicht durft' ich warten;
Einer Elfe gleich sah ich behende
Nachts dich schweben durch den dunkeln Garten,
Und bald hielt ich deine lieben Hände.
Und mit dir trat über ferne Höhen
Hell der Mond empor, die blanken Sterne;
Durch die Blüthen ging ein lieblich Wehen,
Eine Nachtigall schlug in der Ferne.
Und die Nachtigall hat sich geschwungen
Dicht vor uns auf eine Rose nieder,
Und die vollen, süßen Töne klungen
Wundervoll, wie lauter Liebeslieder.
Und wir wagten kaum, das Haupt zu wenden,
Kaum, die stillen Lüfte einzuziehen,
Daß die Liebeslust nicht möchte enden,
Nicht der kleine Sänger möcht' entfliehen.
Da ertönten plötzlich in der Nähe
Fremde Stimmen, und mit scheuem Beben
Sprangst du auf, gleich einem flücht'gen Rehe,
Konntest fliehend kaum die Hand mir geben.
Mit dir hat des Maien letzte Stunde,
Hat die Nachtigall sich fortgeschwungen,
Ohne daß von deinem lieben Munde
Einen einz'gen Kuß ich hätt' errungen.
Und doch sind mir jene Augenblicke
Wie ein reicher Liebestraum vergangen,
Und mir ist, gedenk' ich dran zurücke,
Als ob tausend Küsse ich empfangen.
War doch Beider Herz in Eins verklungen,
Da wir lauschten jenem Gruß der Liebe;
War doch Erd' und Himmel rings verschlungen
Als ein einz'ger schöner Kuß der Liebe.