Liebchen, wo bist du?

Zaubrer bin ich, doch was frommt es?
Denn mein Lieb ist eine Fei,
Höhnt mich mit noch ärgerm Zauber,
Ruf' ich freundlich sie herbei:
Liebchen, wo bist du?

Heute noch in Feld und Garten
Ging ich, sie zu suchen, aus;
Plötzlich lacht' aus einer Rose
Glühend roth ihr Mund heraus:
Liebster, da bin ich!

Ich nun ward ein schneller Zephyr,
Küßt' im Flug die Rose schon.
Ach! nur eine Rose küßt' ich,
Liebchen war daraus entflohn.
Liebchen, wo bist du?

Sieh, da schaut sie aus der Sonne,
Eingehüllt in Strahlen ganz,
Und doch blinkten ihre Augen
Mir durch all den Himmelsglanz:
Liebster, da bin ich!

Ich, zum klaren See mich wandelnd,
Fing mir schnell den Sonnenschein;
Ach! nur Sonnenstrahlen fing ich,
Liebchen saß nicht mehr darein.
Liebchen, wo bist du?

Horch, da sang am Waldes-Ufer
Plötzlich eine Nachtigall;
Wohlbekannt war mir die Stimme,
Und sie sang mit süßem Schall:
Liebster, da bin ich!

Schnell zum Abendstern gewandelt,
Blickt' ich durch die grüne Nacht;
Ach! ein leeres Nest erblickt' ich,
Liebchen hatt' sich fortgemacht.
Liebchen, wo bist du?

Und so treibt sie's alle Tage,
Läßt mir eben jetzt nicht Ruh',
Während dieses Lied ich singe,
Ruft sie unsichtbar mir zu:
Liebster, da bin ich!

Liebchen, mach' dem Spiel ein Ende,
Komm nun endlich selbst herbei,
Glaub', ein einz'ger Kuß ist schöner,
Als die ganze Zauberei!
Liebchen, wo bist du?

Collection: 
1844

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