O laß sie blühn, die sanften Tage -
So mild erhellt, so morgenschön!
Wie einer Jugend ew'ge Sage
Wie einer Glocke leis Getön.
O laß sie rein, die klare Welle -
An diesem Frieden rühre nicht!
Mir ist so wohl in milder Helle,
Die aus dem Aug' der Liebe spricht.
O laß sie blühn, die sanften Tage -
Und rüttle nicht an altem Leid!
Versunken liegts im Sarkophage,
Denn wir begruben seine Zeit.
Und nun? o lehr' dein Herz verstehen
Der sel'gen Stunden Wonneschaum!
Es trägt der Mensch so kurz zu Lehen
Des Erdendaseins Blüthentraum!
O laß sie blühn, die sanften Tage!
Es kommt der Sturm, eh' du's gedacht;
Es kommt die Not, des Lebens Plage,
Und das Verhängniß über Nacht;
Drum laß sie blühn! genießen lerne
Das stille Glück, das dich umgiebt!
Wie bald verschwimmt's in ew'ge Ferne,
Sein Segen bleibt - wenn du's geliebt!
aus: Dichterstimmen der Gegenwart
Eine Sammlung der deutschen Lyrik seit 1850
Herausgegeben von Karl Weller
Leipzig Heinrich Hübner 1856