1.
(Variation eines Goethe'schen Liedes)
Wenn nach hellem, frohen Tage
Dämmerung im Stübchen fließt,
Da geschieht es, daß auf einmal
Sich ein Schmerz in mich ergießt.
Und ich fühle, wie das Bangen
Immer mächtiger sich regt,
Und ich kann es nicht begreifen,
Was auf einmal mich bewegt.
Endlich muß ich mir gestehen:
Solche holde Dämmernacht
Hast du, ach, in schönern Zeiten
Ganz wo anders zugebracht!
2.
Wenn in festlich buntem Kreise
Jeder froh der Liebsten glüht,
Wonnetrunken - leise, leise
Werd' ich traurig im Gemüth.
Doch in diesen stillen Schmerzen
Tönt es freundlich und gelind:
Hegt dich nicht in ihrem Herzen
Auch ein holdes, liebes Kind?
Und ich fühle deine Nähe,
Und mir ist, als ob ich dich
Engelgütig nicken sähe
Zu dem Worte minniglich.
Da bewegen Freudentriebe
Wundermilde Herz und Sinn,
Und ich blick' in heitrer Liebe
Auf die frohen Paare hin.
3.
Welche reine Freudenquelle
Ward auf einmal mir beschieden!
Meines Herzens trübe Welle
Strömt dahin in klarem Frieden.
Wie vermochte nur der Schwärmer
So geschwinde zu genesen?
Näher bist du mir und wärmer
Als du je dem Freund gewesen.
In der wunderbarsten Weise
Leuchten deine Rosenwangen,
Und die Augen blicken leise
Süßerglühendes Verlangen.
Welche Macht der Liebesgluten!
Zaubern her die einst Gegönnte,
Daß man mit der Schönen, Guten
Kosen fast und herzen könnte.
Holde Seelenaugenweide,
Wonnebilder, himmlisch heiter,
Lächelt länger Trost im Leide,
Flattert nicht so bald mir weiter!
Aus: Gedichte von Melchior Meyr
Berlin Verlag von Julius Springer 1857