Fernestehend

Er sitzt bei meiner Liebsten dort
In unbefangnem Scherz,
Die Worte fließen munter fort
Und ruhig schlägt sein Herz.

Ich weile still alleine hier,
Von ferne seh' ich hin,
Und ach die süßeste Begier
Durchbebt mir Herz und Sinn.

Allein ich wagte mich nicht nah
Um alles Erdengut,
Wie angezaubert steh' ich da
Bei aller Sehnensglut.

Doch ward dem Unbefangnen drum
Ein schöner, höher Glück,
Weil er, indem ich fern und stumm,
Sich sonnt in ihrem Blick?

Er sitzt so ruhig da, so matt,
In ihrer Augen Licht!
Ach was er an der Theuren hat,
Er weiß und fühlt es nicht.

Wie eine Heilige, verklärt,
Strahlt sie von ferne mir,
Und ihr unendlich holder Werth
Lebt ganz im Herzen hier.

Und schenkt mir einmal günst'ge Zeit
Ein lieb, vertraulich Wort,
Wie eines Kleinods Herrlichkeit
Lebt's ewig in mir fort.

Aus: Gedichte von Melchior Meyr
Berlin Verlag von Julius Springer 1857

Collection: 
1857

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