Ein schöner Sommer

1.
Wie flossen meine Tage hin,
Von sanftem Licht erhellt!
Mit klarem Geist und frohem Sinn
Beherrscht' ich meine Welt.

Aus meinem Haupt, aus meiner Brust,
Da schuf ich kühn und frei,
Hing am Gewordenen mit Lust
Und fand, daß gut es sei.

Da sah mein Aug' das schöne Bild
In heller Freude Glanz, -
Und Sehnen füllt' mich bang und wild,
Verwandelt bin ich ganz.

Von glühend heißer Leidenschaft
Ist Seel' und Sinn regiert,
Dahin ist alle klare Kraft,
Verwirrung triumphirt.

Sie liebend sehen Tag um Tag,
Zu senden Gruß um Gruß,
Das ist's allein, was ich vermag,
Was ich gewaltig muß. -

Und wolltest du, das alte Glück
Es würde wieder dein?
Sehnst du zur Freiheit dich zurück? -
O nein, o nein, o nein!

2.
Wenn sie so hingegossen ruht,
Das Köpfchen leicht geneigt,
In einem Lächeln hold und gut
Des Herzens Freude zeigt.

Und wenn das liebliche Gesicht
Und blaues Augenpaar
In ihres heitern Sinnes Licht
Mir leuchten doppelt klar.

Wenn mit dem Grübchen, zierlich, klein,
Die Wange zart erglüht,
Das ganze Bild, so jung und fein,
In Lust des Lebens blüht.

Wenn Sehnsucht in den Augen quillt,
Die zärtlich übergehn,
Und Lieb' mit Liebe sie vergilt:
Wie könnt' ich widerstehn?

3.
Verliebte müssen wagen
Und ihr Geschick ertragen.
Je mehr du für die Liebe
Hinopferst ohne Klagen,
Je theurer wird sie selber
In wonnevollen Tagen.
Wenn du dich ihr ergeben,
Dann weg mit jedem Zagen!
Durch alle Gegensätze
Mußt du hindurch dich schlagen,
Um eines Hauptes Länge
Den größten überragen.

4.
Wenn man dich hocherhebt und preist
Und wenn man dich verklagt,
Wenn man dir Freude, Glück, verheißt,
Vorher dir Leiden sagt:
Stets regt sich innig tief in mir
Ein sehnendes Verlangen,
Stets richtet sich mein Blick nach dir
Und hängt an dir gefangen.

Triumphgefühl und Freudigkeit,
Erbangen, Sorge, Schmerz,
Sie alle führen allezeit
Zu dir mich, liebes Herz.
In trübem wie in heiterm Schein,
In Wonnen und in Leiden
Ist gleich dein Zauber: ich bin dein,
Nichts kann von dir mich scheiden!

5.
Wie oft du geweilt bei der Süssen, Schönen,
Stets klopfenden Herzens zu ihr dich sehnen.
Wie oft dein Aug' an ihr gehangen,
Stets glühend wieder nach ihr verlangen.
Wie oft du sie küssend durftest umwinden,
Stets tiefere Leidenschaft empfinden!
Wenn dir's versagt ist, sie zu sehen,
In innigem Herzeleid vergehen,
Und jede Sekunde verloren achten,
Wo ihre Augen dir nicht lachten!
Im Glücke selbst ein Sehnen fühlen,
Durch keine holde Gunst zu kühlen,
Und Herz an Herz, im höchsten Entzücken,
In ihr noch ein fernes Gut erblicken,
Ein Ideal, der Sonne vergleichbar,
Stets unerreicht und unerreichbar - -
Das, das ist Liebe, die Krone des Strebens,
Die höchste Wonne des Erdelebens!

6.
Der Dichter soll die Liebe,
Die warme Herzen hegen,
Die mannigfachen Triebe,
Die mächtig sie bewegen -
Er soll die Freude schildern
Und tiefen Leids Entbrennen,
Damit in seinen Bildern
Die Menschen sich erkennen.

Soll ihm dies recht gelingen,
Muß Alles er erleben:
Drum wird vor allen Dingen
Die Sehnsucht ihm gegeben,
Die ihn in süßen Gluten
Zu Wonn' und Wehe führet,
Daß er in Lebensfluten
Zu innerst wird gerühret.

Wenn hochbegabte Geister
In heitern Regionen,
Erwählten Stoffes Meister
Erhaben, selig wohnen,
So scheint der weiche Dichter
Am Sinnentand zu kleben -
Und holt doch nur die Lichter,
Die alle Welt beleben.

7.
Du sehnest dich, es bebt dein Herz
Im Innersten getroffen,
Und höllenab und himmelwärts
Reißt Fürchten dich und Hoffen.

Gewinnst du nur die kleinste Gunst,
So jubelst du im Glücke,
Doch wandelt Zweifel sie in Dunst,
Geht alles Heil in Stücke.

Du krümmst dich und du windest dich
Bang zwischen Stolz und Liebe;
Wohin du gehst, du findest dich
Ein Raub erglühter Triebe.

Gedanken wirr, ein ganzes Heer,
Sind deines Wegs Begleiter,
Der Sorgen unerschöpftes Meer
Wogt unablässig weiter.

Da hast du's nun, du hoher Geist,
Der du so stark dich fühltest,
In fröhlich leichtem Spiele dreist
Den stolzen Muth dir kühltest!

Daß du in männlichfreiem Gang
Durch's Leben gingst seit Jahren,
Das konnte vor dem höchsten Zwang
Mit nichten dich bewahren.

8.
Ich soll von ihr mich trennen?
Hör' ich die liebe Stimme nur
In ihrer reizenden Natur,
Fühl' ich das Herz entbrennen.

Ihr bin ich wieder eigen!
Was ich gewollt, es ist dahin,
Und Sehnen herrscht in jedem Sinn,
Mich liebend ihr zu neigen.

Kann ich mich nicht verschanzen
Vor einer einz'gen Eigenschaft,
Wie hielt' ich Stand wohl vor der Kraft
Des reizerfüllten Ganzen?

9.
Krank war Liebchen, sie lag im Fieber,
Blaß und leidend aufgeregt.
Hatte sie gleich um so viel lieber,
Küßte die Stirn ihr innig bewegt.

Und sie erkannte mein Herz im Erbangen,
Athmend hob sich und wogte die Brust,
Rosenroth flog über die Wangen
Und die Schmerzen wichen der Lust.

Schweigend ergriff sie die Hand mir und drückte
Sie so zärtlich, lächelnd dabei,
Und ihr thauendes Auge blickte
Herzlichen Dank für Lieb' und Treu.

Nie, so lange wir uns verbunden,
Sah ich die Gute so schön und hold!
Niemals hab' ich so selig empfunden
Inniger Lieber himmlischen Sold.

10.
Was gehen mich die hohen
Geistvollen Schönen an!
Sie mögen unbelästigt
Fortwandeln ihre Bahn.

Von ihnen glüht ja keine
Für mich in holdem Brand!
Sie sind mir Schattenbilder
Hingleitend an der Wand.

Nur die Gestalt, die Liebe
Herführt zum Wonnekuß,
Sie lebt mir und es lächelt
Aus ihr ein Genius!

11.
Sie muß ja wohl bedeutend sein,
Da Einen, der so viel vermißt,
Dem selten zu genügen ist,
Sie ganz genommen ein!

Sie muß ja wohl bedeutend sein,
Da mich, der unterm Firmament
An Kraft und Geist das Größte kennt,
Zu ihr es zieht allein!

12.
Sie hat ihre Huld mir gestanden,
Erhört mein dringendes Flehn;
Momente des Glückes verschwanden,
Zu lieblich, um zu bestehn.

Doch sie sind wiedergekommen
Und kehren mir ferner zurück;
In sehnenden Herzen entglommen
Muß Wahrheit werden das Glück.

Und bis sie wieder erschienen,
Könnt' es zu viel mir sein,
Zu dulden, zu harren, zu dienen
In Lebens- und Liebespein?

13.
Trag immer Leid und Bangen,
Der bösen Geister Saat.
Ist Alles doch vergangen,
Wenn sie dir wieder naht!

Wenn sie mit süßer Kehle
Dir haucht, daß du geliebt,
Und ihre ganze Seele
Dir innig sich ergiebt.

Wenn, ach, die Herzen pochen,
Von höchster Lust verzehrt! -
Ein Augenblick ist Wochen
Des Leids, der Sorge werth.

14.
Die düstern Bilder kommen nur,
Wenn's in der Seele Nacht ist:
Das ist die Stunde, die für sie
Und ihren Spuk gemacht ist!

Doch geht die Sonne wieder auf
Der Liebe, ziehn sie weiter,
Und Alles wird dann wieder traut,
Und Alles wieder heiter.

15.
Als ich nicht mein Schätzchen kannte
Und nur das in ihr erblickte,
Was mein sehnend Herz erquickte,
Fand der blind in Lieb' Entbrannte
Ueber Alles lieblich sie.

Klarheit brachten die Geschicke,
Und ich kann in ihrem Wesen
Wie in einem Buche lesen.
Anders nun erscheint dem Blicke,
Anders, ach - noch holder sie!

16.
Du thust, o Freund, mir weise dar,
Wie manches ihr gebricht,
Und machst es siegend offenbar -
Du kennst die Liebe nicht.

Erschiene mir die Zauberin
Gar ohne Fehl und Schuld,
Wo sollt' ich mit der Fülle hin
Von Lieb' und Liebeshuld?

Vermöcht' ich von der schönsten Hand
Zu nehmen Glück um Glück
Und holder Neigung Pfand um Pfand
Und gäb' ihr nichts zurück?

Süß ists dem Edeln, dankbewußt
Der Lieben zu verzeihn.
Nur dies kann übervoller Brust
Beruhigung verleihn.

17.
Laßt mich leben und bewußt sein,
Kraft und Muth in meiner Brust sein!
Laßt mich volle Lust empfinden,
Glühendes Genügen finden.
Laßt mit Freude Leid mich fühlen,
Schmerzen in dem Herzen wühlen.
Laßt im Kampfe Stärke quellen,
Hoffnung das Gemüth erhellen -
Und erhöht in jedem Sinn
Laßt mich fühlen, daß ich bin!

18.
Ja, für Vieles raubt die Liebe
Mir die Sympathie,
Was ich emsig wohl betriebe
Ohne sie.

Was der Tag in tollem Schreien
Preist und hebt empor,
Ihm vermag ich nicht zu leihen
Herz und Ohr.

Doch was edle Geister schufen
Und erhöht in Glanz,
Vor die Seele kann ichs rufen
Klar und ganz.

Tausend schöne, neue Lichter
Gehn mir auf darin,
Und ich fasse meiner Dichter
Höchsten Sinn.

Tausend neue Lieder klingen
Mir im Herzen dann,
Daß ich ihrer werth zu singen
Hoffen kann. (S. 104-105)

19.
Das Wunder Jugendblüte,
Das Wunder Leibeszier,
Das Wunder Liebesgüte,
Sie alle siehst du hier!
Siehst sie in Sonnenklarheit,
Beseligt Zug um Zug
In tiefster Lebenswahrheit - -
Genug, o Herz, genug!

20.
Immer wieder dienen müssen
Und von vorn beginnen,
Um, was früher man besessen,
Wieder zu gewinnen,
Ob es auch auf kurze Zeit nur
Wieder uns verbliebe:
Häßlich ist es sonst im Leben,
Reizend in der Liebe.

Warst du Herr des ganzen Landes
In beglückten Zeiten,
Köstlich ist es doch, ein Fleckchen
Wieder zu erstreiten.
Mochte dich der Kuß der Holden
Himmelwärts entführen,
Lieblich ists, den Saum des Kleides
Streifend zu berühren.

21.
Denkt euch Augen, glänzendblaue,
Die mich liebevoll betrachten,
Frische, rothe, schöngeformte
Lippen, die nach Küssen schmachten.

Denkt euch Arme, weiß wie Lilien,
Die mich zärtlich fest umschlingen
Und dem lieblichen Verlangen
Alsogleich Erfüllung bringen.

Denkt ein Herz euch, engelgültig,
Das in himmlischem Entzücken
Jubelt; wenn es ihm gelungen,
Den Geliebten zu beglücken.

Denkt euch einen Muth, entschlossen,
Nur auf mich allein zu hören,
Und von Allem wegzusehen,
Was im Glück uns könnte stören! -

Denkt ihr das so recht lebendig,
Daß ihr es mit Augen sehet,
Kann ichs euch nicht übernehmen,
Wenn vor Neid ihr fast vergehet!

22.
Mögt von den Fraun ihr denken,
Wie es für euch sich schickt! -
Wenn ihre Huld sie schenken,
Ihr Auge Güte blickt -

Wenn sich des Gebens Wonne
Durch ihre Brust ergießt
Und leuchtend wie die Sonne
Das Antlitz überfließt:

Dann sind sie lichte Engel,
Vollkommen ganz und gar,
In diese Welt der Mängel
Gesendet wunderbar.

Des Himmels höchste Sphären
Eröffnen sie uns dann,
Und knieend sie zu ehren
Drängt es den edeln Mann.

23.
Wenn tiefbegnügt du lächelst,
Weil süß in Liebeslust
Sich die Gedanken wiegen,
Lebendig und bewußt.

Wenn dein Gesicht ein Himmel,
An dem zu dieser Frist
Auch das geringste Wölkchen
Nicht zu gewahren ist.

Und wenn das Auge leuchtet
Von innerm Sonnenlicht,
Das ewig sich erneuernd
Aus deiner Seele bricht:

Dann fühl' ich nicht Entzücken
In tiefsten Herzen nur -
Ich schau in sel'gem Bilde
Die Zukunft der Natur!

Was lebt, muß dahin kommen,
Wo du, o Liebste mein!
Das kann allein der Himmel,
Das Ziel der Schöpfung sein.

24.
Der Anfang unsrer Liebe
War frühem Lenze gleich,
Wo Sonnenschein und Regen
Sich streiten um das Reich.

Doch wie die Sonne steigend
Zuletzt den Sieg erringt
Und der beglückten Erde
Den Wonnemonat bringt -

So bracht' uns treue Liebe
Frohwachsend mit der Zeit
Ein wunderbares Leben
Voll klarer Seligkeit.

Nun gleicht ein Tag dem andern,
Doch jede Stunde giebt,
Was unser Herz begehret,
Was unsre Seele liebt.

Und scheint an jedem Tage
Das Gleiche zu geschehn,
Nicht kann in holder Stille
Das Leben stille stehn.

Wie Maienzeit der Erde
Die reichste Zier gewährt,
So sehn wir überschwänglich
Der Seele Schlag gemehrt.

Aus: Gedichte von Melchior Meyr
Berlin Verlag von Julius Springer 1857
_____

Collection: 
1857

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