Xx.

XX.
Durch den Garten, in die Felder
irr' ich hin mit dunkeln Augen,
Achte nicht, wie tausend Kelche
Licht und Äther um mich saugen.
Muß der Mai mit holdem Lachen
mir denn eine Leiche geben,
Während meine Freunde haschen
neue Liebe, warmes Leben?

Aber sagt, wie kommt es mir denn,
daß durch meines Grames Schatten
Doch die Sonnenstrahlen dringen
und sich mit den Schmerzen gatten?
Daß der Lenz mit seinen Reizen
mir noch zehnmal üppger scheinet
Und mit seinem alten Schmucke
eine neue Schönheit einet?

Ja, die todeskranke Liebe
einen Geisterabglanz gießet
Über all' die Lenzesfülle,
die da drängt und blüht und sprießet.
Hunderttausend Blumen wollen
ihr die letzte Ehre geben,
Und noch viel mehr Knospen eilen,
solche Feier zu erleben.

Sehet da, die weißen Liljen
sind vor ihrer Zeit gekommen,
Als sie von der Blumentrauer
rings im weiten Land vernommen;
Ihre Schwester zu begleiten,
blühen sie in langen Reihen,
Während sie aus ihren Kelchen
Weihrauch in die Lüfte streuen.

Und die Abendröte schlingt sich
schön in rosigen Guirlanden
Um die hohen Silberberge,
de noch eben sonnig standen;
Und der Hesperus dort funkelt
Als des Himmels Scharenmeister,
Rufend in die weiten Sphären
alle guten Sternengeister.

Alle Silberbronnen klingen,
alle Nachtigallen schlagen -
Jetzt seh' ich die Blumenleiche
shwankend über die Auen tragen;
Morgenröten, Abendröten,
Wetterleuchten, Regenbogen,
Alles Schöne kommt der Bahre
trauerfunkelnd nachgezogen.

Sagt, wann wird der Täuschung Schleier
endlich mir vom Aug' gehoben?
Unverwüstlich sind die Dichter,
Alles wird zum Traum verwoben;
Selbst der nahe Tod wird spielend
noch mit Schein und Tand umschlungen -
O, ich glaube, er ist eben
eisig in ein Herz gedrungen! (S. 91-92)

Collection: 
1806

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  • VI.
    Wohl ist die Lilie wunderbar,
    Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
    In ihrem Kelche, sonnenklar,
    Langsam der Morgentau versiegt;
    Doch mag ich gehn und wandern,
    So weit nur Lilien stehn,
    Ist keine vor der andern
    Mit höherm Schmuck versehn.

    ...
  • V.
    Viele Wochen sind entflohn,
    Seit ich Dich gesehen;
    Hab' auch lange Tage schon
    Keine Blum' gesehen!

    Keine Blumen und kein Lieb -
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    Was soll aus dem Frühlingstrieb
    In mir innen werden?

    Zwar noch stets der Lenz...

  • IV.
    Nun in dieser Frühlingszeit
    Ist mein Herz ein klarer See,
    Drin versank das schwere Leid,
    Draus verdampft das leichtre Weh.

    Spiegelnd mein Gemüte ruht,
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    Und mit Lieb' umgießt die Flut,
    Was sich in dieselbe taucht.

    ...
  • III.
    Sitzt man mit geschloßnen Augen
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    Blitzt oft durch die zarten Lider
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    Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen
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  • II.
    Durch's Frührot zog das Wolkenschiff
    vor einem hellen Frühlingstag,
    Als ich, ein träumend Schülerkind,
    im morgenstillen Felde lag;
    Ein Falter streifte meine Stirn,
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