An der Leiche einer Selbstmörderin

O, Liebe, Liebe! - du gewalt'ge Fei!
Wie furchtbar grausam bist du in der Leidenschaft, -
Wer nennt die Opfer all', du Lorelei,
Die dein geheimnißvoller Strudel hingerafft?!
Ich stehe schaudernd an des Abgrunds Rand -
Gib Antwort mir! - bist du von Gott gesandt? -

Wie hab' ich treu und fest an dich geglaubt,
Dir weiht ich meines Herzens bestes Lied -
Doch tückisch zeigst du mir ein Schlangenhaupt,
Den Bassiliskenblick, der in's Verderben zieht:
Und wo ich Gottes lichten Engel sah
Steht fürchterlich nun die Gorgone da! -

Ja fürchterlich ist deines Zaubers Macht!
Du reißest wild das Kind von warmer Mutterbrust,
Den Priester schleifst du durch die dunkle Nacht;
Zerbrichst der Jungfrau Demantschild in frecher Lust;
Zerstörst der Ehe stilles Heiligthum;
Verlachest Ehre, Hoheit, Macht und Ruhm! -

Die blond gelockte Jugend mordest du!
Vor dir zerrauft das Alter sich das Silberhaar;
Den frommen Fleiß, das Wissen höhnest du,
Das Gift, den blanken Dolch reichst du dem Wahnsinn dar -
Den Fieberbrand stillt nur das kühle Grab
Und lautlos sinken Tausende hinab! -

Ha! mich erfaßt ein tiefer, bittrer Zorn -
Hier liegt vor mir ein neues Opfer deiner Wuth -
Das Tod getrunken aus dem Zauberborn;
Es goß dir heldenmüthig hin sein Lebensblut -
Vergeblich lächelt ihm des Kindes Blick -
Nicht hielt sein Schrei den Todesstoß zurück! -

O, seht euch an den Jugendschönen Leib!
Laßt rühren euch das edle, schmerzerstarrte Haupt -
Es hat auch dieses engelgleiche Weib
Im sel'gen Rausch der Liebe Ewigkeit geglaubt -
Wie mächtig klaget nun den blinden Wahn
Der stumme Mund die grimme Liebe an! -

Gott sei ihr gnädig! Sühne sei der Schmerz,
Mit dem sie vor dem bangen Todeskampfe rang,
Eh' ihr in's weiche liebekranke Herz
Von eigner Hand des Dolches scharfe Spitze drang -
Dich aber klage ich als Mörd'rin an,
Dich, Liebe! die auch dieses Leid gethan!

Von deinem Wahnsinn ist die Erde voll!
Wer rettet Menschenherzen aus dem Zauberbann? -
Verstand wird dumm - die Weisheit selbst wird toll
Wo Liebe herrscht - ein lächelnder Tyrann!
O, daß der Gottesengel, das Gebet
Nicht warnend vor dem schönen Teufel steht.

Ein hartes Wort! - die Lieb' ein Teufelskind? -
Ja, eine Höllenmacht ist Lieb' als Leidenschaft!
Sie nahet herzig schmeichelnd, lieblich lind,
Bis später sie das Opfer faßt mit Tigerkraft -
Wär' doch ein Donnerschlag mein armes Lied! -
Ein Blitz in junge Herzen! - Flieht - o, flieht! -
(1853)

aus: Gedichte von Katharina Diez
und Elisabeth Grube, geb. Diez
Stuttgart 18571

Collection: 
1857

More from Poet

  • Im Liebeswahnsinn hab' ich kühn beschworen
    Die Sternengeister, die die Welt regieren,
    Entgegen mir die Liebliche zu führen,
    Die sich mein Herz in weher Lust erkoren.

    Ach, meine junge Liebe, kaum geboren,
    Sie sollte dich mit...

  • Ich kam von dir im hellen Mondenlichte,
    Kalt weht der Wind, doch meine Wange glühte,
    Schnee deckt die Flur, doch meine Seele blühte
    Und üppig sproßten mailiche Gedichte.

    Da fiel's herab vor meinem Angesichte
    Vom Himmelszelt,...

  • Ein Lied an dich hast du mir aufgetragen
    Und ich erschrecke ob den süßen Pflichten,
    Du glaubst, um Liebeslieder schön zu dichten
    Bedürft' es nur die Saiten anzuschlagen!

    Vertraulich laß dir ein Geheimniß sagen,
    Ein Zauberwort,...

  • Als Kind schon hob sich mir in stillem Neide
    Die junge Brust beim Ruhm von Männerthaten;
    Doch fühlt' ich mich beglückt wenn Frauen nahten,
    Im holden Liebreiz, in der Anmuth Kleide.

    Sie waren Herzenslust mir, Augenweide!
    Ich...

  • Am Kirchenthore stand ich mit der Meinen -
    Sie neigte still das Haupt dem Benedeiten,
    Um mit dem hellen Wasser, dem geweihten,
    Im Kreuzeszeichen sich die Brust zu reinen.

    Wohl mocht ich ihr ein sünd'ger Ketzer scheinen -
    Doch...