Vertraute Nacht! in deinem Mutterschooß
Verberg ich das bethränte Angesicht,
Verirrt in wilde Wüste, heimathlos
Komm' ich daher, verwirf auch du mich nicht -
Mein Auge hing an deinem schönsten Sterne,
Wie kam ich nur in dieses Abgrunds Ferne? -
Hier bin ich ganz allein, o Nacht! mit dir,
Angst drückt die Brust, die kalte Thräne rinnt,
Nimm mich in deinen Arm und sprich zu mir
Gleich einer Mutter zum betrübten Kind;
Erbarme dich des trostlosen Verzagen -
Dir will ich all mein tiefes Leiden klagen.
Am hellen Tage trug ich stolz das Haupt,
Ich schritt einher mit trotz'gem Uebermuth,
Und was mir auch der wilde Frevel raubt -
Ich hemme stark die heiße Thränenfluth;
Nun reißt der Damm! - der Strom muß sich ergießen;
Mein Herzblut mag mit ihm hinunter fließen! -
O, laß mich weinen! - ach es war so schön -
Was ich so warm in Lust und Leid geliebt!
Wie könnt ich ohne Klage ruhig seh'n,
Daß meiner Seele Liebestraum zerstiebt?
So bleicht die siebenfarb'ge Himmelsbrücke,
Die Flur bleibt grau und regenkalt zurücke. -
Ja, grau und kalt! mir schaudert vor der Bahn,
Die Sonn' und Sternenleer dem Wandrer blinkt,
Wie klimm' ich nun den Felsensteg hinan
Wenn droben mir kein liebes Auge winkt? -
Nach weiter Umsicht trag ich kein Verlangen,
Mein Sehnen stillt ein liebendes Umfangen.
Gib mir ein Herz, an dem ich ruhen kann,
Und niemals klag' ich in dem Lebensstreit,
In Noth und in Gefahr geh' ich voran
Wenn Liebe mir den blanken Schild gefeit;
Doch vor dem Kampfe sink' ich überwunden
Wenn mir der höchste - einz'ge Preis entschwunden.
Du milde Nacht! dein mütterlicher Mund
Vertröstet mich mit heil'gem Siegespreis,
Die Märthyrer, die Helden machst du kund,
Die sich gekrönt mit blut'gem Dornenreis -
Mein Herz erbebt - wie muß ich trüb verzagen!
Mich wird die Liebe nur zum Himmel tragen.
Die Liebe, die in einer Menschenbrust
Des Erdenlebens Schmerz und Wonne fühlt,
Die ohne Worte sagt, was ich gewußt,
Hinweg die Thräne küßt, die Wange kühlt -
Wie glaub' ich fromm an göttliches Erbarmen
Wenn mich ein Mensch umschließt mit Freundesarmen.
Es sagt die Schrift: zu Gottes Ebenbild
Sei in dem Paradies der Mensch gemacht -
Wo ist das Herz, das mein Verlangen stillt?
Wer führet mich durch meiner Schmerzen Nacht?
O, süßer Traum! warum bist du entschwunden?
Des Paradieses Glück wähnt' ich gefunden! -
Vertrieben hätte mich die eigne Schuld? -
So lästert Eigensucht die milde Lieb';
Denn sie ist so voll Gnade, so voll Huld,
Daß auch dem Sünder ihre Treue blieb; -
Ach, nein, ach nein! die Lieb' ist ohne Ende
Und frei wär' sie, in Ketten Fuß und Hände!
Das ist nicht Liebe, die auf Recht und Pflicht,
Auf Mein und Dein, auf Ehr' und Leumund zeigt,
Die mit des Handels Elle und Gewicht
Das holde Glück bedingungsweise reicht -
Die Lieb' allein ist Tugend, ohne Maaßen,
So reich wie schön, im Haus und auf den Straßen,
Sie weilet in der tiefsten Stille gern,
Doch mit dem Liebsten scheut sie nicht die Welt,
Gleich einem Hündlein seinem lieben Herrn,
Gleich einer Taube ob dem Giebelfeld:
So wirst du sie auf seinem Wege finden,
Ihr Herz, ihr Leben um das seine winden.
Wie kam es denn? - ich fühlte ja ein Herz
Mit heißem Schlage fest an meiner Brust,
Durchzuckt vom gleichen Glück, von gleichem Schmerz;
War eines Doppellebens mir bewußt -
Weißt du es denn? - wo ist mein frohes Lieben,
Wo ist mein zweites, bestes Herz geblieben? -
O, laß mich weinen! - das ist nun vorbei!
Sie nahm so kalt und streng ihr Herz zurück
Als wenn es nur auf Pfand geliehen sei,
Und so war denn ein Traum mein Liebesglück! -
Du mütterliche Nacht! - in deinem Schooße
Verbirg mein Haupt - zertreten liegt die Rose! -
(1847)
aus: Gedichte von Katharina Diez
und Elisabeth Grube, geb. Diez
Stuttgart 1857