Der Tag bricht an - die Morgenglocken läuten -
Die Sonne tritt aus ihrem Purpurzelt -
Flamm' auf mein Herz! du magst dir lieblich deuten
Den Jubelgruß der neuerwachten Welt;
Entgegen schlägst du reinem Himmelsglück -
Des Wiedersehens sel'gem Augenblick!
Sie naht - sie kommt - sie wird dich milde grüßen,
Wie Blumenhauch, wie klarer Vollmondschein;
Wie Liebe geht mit leisen Engelsfüßen;
Wie gold'ner Schimmer durch den Buchenhain -
Ach! arm ist jeder Wonne Erdenlaut
Dem Segen, der aus ihrem Blicke thaut! -
Im Geist will ich ihr holdes Bild umfangen
Bis sie sich selbst in meine Arme schmiegt
Und wie ein Kind, mit sanft erglühten Wangen,
Mir liebetrunken an dem Herzen liegt -
Ihr guten Geister! - was der Tag verspricht
Versagt es mir im Abendrothe nicht! -
Wohl zittert jedem großen Glück entgegen
Das arme, oft betrog'ne Menschenkind;
Doch was ich bitte, ist ein Gottessegen,
Der aus dem Strom der ew'gen Liebe rinnt -
Die Liebste mein steht in der Engel Hut -
Und bald erbleicht des Tages Sonnengluth!
Euch Allen gönn' ich in der Sonne Gluthen
Das schönste Glück - laßt mir den Abendschein!
Wann brausend seine mächt'gen grünen Fluthen,
Wie wallend' Gold, hinunter wälzt der Rhein;
Dann glänzt hervor der lichte Abendstern
Und die Geliebte weilet nicht mehr fern! -
(1854)
aus: Gedichte von Katharina Diez
und Elisabeth Grube, geb. Diez
Stuttgart 1857