Ferne Stunde

Wir werden nicht mehr oft mitsammen gehen,
was wir einander sagten, wird verwehen,
und vergessen sein, was ich und du gesehen. —

Aber vielleicht — ferne — fern einmal weckt dich ein Traum,
oder ein kleiner Vogel singt — oder es blüht ein Baum —
oder es ist nur ein Wehen — so — von irgendwann —
das schleicht dir ins Blut und hält deinen Herzschlag an
und vor dir steht es mit einem Male
groß und klar,
was an jubelnd bereiter Unendlichkeit,
an sorgender Liebe und lippenhart schweigendem Leid
damals um dich war. —

O könntest du dann noch zu mir finden,
Heilige — Reine — du —!
und bebend mir das ersehnte Wunder künden,
das uns über darbender Tage Pein,
über Zweifel und Lüge
hoch und allein
in mütterlich bergenden Armen trüge. —

Collection: 
1919

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