An dich

Steh ich vor Dir,
Ein Mann und Geliebter,
Allen Blick in Deinen tauchend,
Zärtlich und liebend und forschend -
Fließt mir ein heimlicher Schauer
Heiß über die bebende Haut:
Das Herz schwillt breit und laut:

Da hebt sich auseinander
Menschliche Reihe!
Frau und Frau, Weib und Weib:
Lange Reihe der Mütter.
Von Dämmerung umrauscht,
Alte, Junge, Greisinnen; schweigend -
Und im Schweigen erhaben wie Schicksal
Vor die strömende Wand
Des Horizontes gebannt.

Plötzlich:
Sehe ich Dich!
Die letzte der Gestalten -
Geliebteste Du, und mein Weib!
Zierlicher Haltung,
Und im schön gegliederten Antlitz
Die Furchen des Lächelns, die Furchen der Tränen:
Die Furchen des ewigen Lebens
Um Augen und Mund.
Und aber im mystisch beglänzten Blicke
Alle Güte des Weibes!
"Nimm mich hin, nimm mich hin!
Auch ich bin Deines Leibes!
O unentrinnbarer Sinn,
Der tief aus mir beginnt:
Denn auch ich bin, auch ich bin
Dein Kind!"

Collection: 
1921

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