Ein kleines Herz ward vor Gericht gebracht,
Weil es nicht länger wollt' der Pflicht mehr dienen,
Und sah mit seiner dunkeln Augen Macht
Bang in des Schicksals schwarzumflorte Mienen.
Zur Seite stand die Pflicht, ein Riesenweib,
Mit Augen farblos, daraus Thränen bluten,
Die Unermüdliche, zum Zeitvertreib
Schnitt sie ein Bündel scharfer Eisenruten. -
"Was," hub des Schicksals Donnerstimme an,
"Fehlt dir zu deines Hauses vollem Segen?
Hebt nicht die Pflicht dich bis zum Himmel an,
Schützt vor Versuchung dich auf allen Wegen?
So wie der Stab der Blume Haltung giebt,
Daß sie nicht werde jedem Wind zum Raube,
So blüht ein Herz, das treu die Pflicht nur liebt,
Zur vollsten Schönheit auf in Hoffnung, Glaube."
Ein Schauder flog bei diesem Wort durchs Herz,
Die Lippen zuckten im verhalt'nen Weinen:
"Gieb mir das Glück," so fleht's in heißem Schmerz,
"Auf einen Augenblick, nur einen, einen!
Mich friert doch ewig in dem dünnen Kleid,
Das mir die Pflicht gemacht, ich kann's nicht tragen,
Es ist zu eng, und bringt mir großes Leid,
Und doch darf ich's niemals zu ändern wagen.
Schau her, wie schön sie es mir hat gefärbt,
Mit meinem Blute ist es jüngst geschehen,
Ein jedes Wort ist mir ins Fleisch gekerbt,
Da kannst du ewig ihre Sprüche sehen.
Wie eine Wüste ist ihr Angesicht,
Und unaufhörlich peitscht sie mir die Hände,
Siehst du den Dornenkranz auf meiner Stirne nicht?
Er schmerzt, wo ich auch nur das Haupt hinwende,
Und Ketten hängt sie an des Kleides Saum.
Die müden Füße tragen sie kaum weiter,
Frei werd' ich nur des Nachts im tiefsten Traum,
Dann hebt das Glück mich auf die Rosenleiter.
Dann grüßt der Palmenhain herüber lind
Und Harfenklänge ziehn mich in den Reigen
Der Glücklichen, dann bin ich auch ihr Kind
Und geb' der Freude voll mich dann zu eigen.
Nur einmal laß mich off'nen Auges sehn,
Was mir der Traum enthüllt in mattem Glanze,
Laß trinken mich den Göttertrank der Feen,
Den sie kredenzen jeder Braut im Kranze.
Nur einmal laß mich meine heiße Brust
Ins Meer der süßen Liebesgluten tauchen,
Nur einmal laß des Glückes volle Lust
Mir seinen Kuß auf meine Lippen hauchen.
Nimm meine Seligkeit, ich geb' sie dir,
Will ehrlos sein für alle Ewigkeiten,
Nur öffne einmal mir des Glückes Thür,
Dann kannst erbarmungslos du über mich hinschreiten."
Und bitter weinend warf das Herz sich hin,
Umschlang den Thron mit seinen schwachen Armen;
"O änd're, Schicksal, deinen harten Sinn,
Und habe mit dem kleinen Herz Erbarmen!"
Das Schicksal winkt: Es sei. – Ein Windesstrom
Voll Weihrauchduft zieht um des Hauses Stufen,
Und mahnend her vom nahen Kirchendom
Die Abendglocken leis' zur Andacht rufen.
Still geht die Pflicht dem frommen Klange nach,
Im heil'gen Feuer sich die Wangen röten,
Da tönt ein Schrei laut gellend durchs Gemach;
"Halt!" ruft das Herz, "ich gehe mit zu beten."
Wirft in die Arme sich der strengen Frau
Und drückt den Dornenkranz sich wieder fester,
"Fahr' wohl, mein Glück, mit deiner Märchenau' -
Ich bleibe bei der grausam schönen Schwester!"
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