Nocturno

Wenn durch der Dämm'rung tiefgesenkten Flor
Kaum unsre Linien aus dem Finstern ragen,
Spiel mir noch einmal das Nocturno vor,
Aus dem die Ängste dieser Erde klagen,
Ganz leise nur!

Der Mondschein kommt vielleicht,
Und drückt die helle Stirne an die Scheiben,
Und wenn er selbst bis vor die Schwelle schleicht,
Soll ihn kein böser Klang in Wolken treiben.

Wie Mädchenblicke sind,
Die sich zum erstenmal dem Liebsten heben,
Wie Blütenhauch aus vollen Kelchen rinnt,
Wie Seufzer, die von blasser Lippe schweben.

Dann kommt ein Mollakkord! Ich fürcht' ihn schon:
Ein Jammerlaut, wie aus der fernsten Ferne.
Die Seele zittert unter diesem Ton
Und hebt sich haltlos über Welt und Sterne.

Die Nacht rauscht schwerer durch die Dunkelheit,
Und wie die letzten Töne sanft verfließen,
Liegt meine unbegrenzte Traurigkeit
In fassungslosem Weinen dir zu Füßen ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901

Collection: 
1884

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