An Mathilde

I
Als ich um deine Liebe warb,
kam schon der Herbst ins Land gezogen
und eine Blume nach der andern starb
und alle Lust und Freude war verflogen.
Auf meinen stillen Wegen nur war Sonnenschein
und du die Sonne, die ihn mir gegeben -
So war ich nicht mehr trostlos und allein
und stürzte jauchzend wieder mich ins Leben.

II
Auf meiner Stube im sonnigsten Licht,
am blinden Spiegel standest du schlicht,
dein braunes Haar in den schlanken Händen.
Noch seh ich die Finger, die behenden,
die langen Flechten zärtlich umfangen -
O Goldene du, ein heimlich Verlangen
hat uns von Anbeginn vermählt.

III
Du schlägst die weißen Arme
in süßer Liebeslust
um meinen Hals und lächelst
und sinkst an meine Brust.

Ich soll dich küssen, herzen,
soll mit dir glücklich sein,
und 'liebes Frauchen' sprechen,
'du bist auf ewig mein'.

IV
Du hattest geweint die lange Nacht
und als du die Läden aufgemacht
am frühen Morgen, hat die Sonne
in alter, in neuer, in junger Wonne
dir hell ins Angesicht gelacht.

Du hast die Augen schließen müssen,
Lichtwellen deine Stirne küssen
und wollen dich sanft umfassen, umfließen,
daß aus den Tränen noch Blumen ersprießen,
denn das Leben rauscht gleich Flüssen.

V
Du lächeltest, ein fröhlich Weib,
das erste Seligkeit genossen.
Es zitterte dein junger Leib,
durch den ein Strom von Glück geflossen.

Der Vogel sang auf seinem Nest
und ganz in Gold lag noch mein Zimmer.
Der Maitag war ein lautes Fest.
Die Buben jagten sich noch immer.

VI
Du neigst dein Haupt in stiller Trauer
dem Sonnenuntergange zu
und fühlst der Nacht tiefschwere Schauer
dich mahnen an die nahe Ruh.

Da, wie die letzten Sonnenstrahlen
dein Haupt beleuchten ätherklar,
bringt dir in wundervollen Schalen
ein Traum den Wein des Lebens dar.

Collection: 
1910

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