1.
In dunkeler, tiefmitternächt'ger Stunde
Lehnt einsam an dem Fenster eine Maid;
Trüb' ist ihr Antlitz, aber es verleiht
Ein Lächelzug noch eine zweite Kunde.
So Lust, wie Leid hegt ihres Herzens Wunde:
Erinnerung an eine süße Zeit,
Verlangen nach dem Freunde, der so weit,
Und Sehnen nach erneutem Wonnebunde.
Sie seufzet tief und blickt zum Himmel auf
Und sendet heiße Grüße in die Ferne,
Die sie vertraut der Wolke raschem Lauf;
Wie zöge sie mit ihr dahin so gerne,
Um heimlich nur den Liebsten anzuseh'n,
Und heimlich wieder von ihm wegzugeh'n.
aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859