Lenzbelebung

I.
Es schreitet der Frühling
Die Thäler entlang,
Weckt Gräser und Blumen
Und Vogelgesang.

Weckt Blätter und Blüthen
Auf Baum und Gesträuch,
Und zaubert aus Wüsten
Ein prangendes Reich.

Statt stürmenden Winden
Weht wonnige Luft;
Statt stockenden Nebeln
Labt lieblicher Duft.

Statt flatternder Flocke
Der Schmetterling schwärmt;
Statt Aechzen im Eise
Die Lebenslust lärmt.

Statt Pilgern im Pelze
Hüpft barhaupts das Kind;
Statt Schlitten und Schellkranz
Läuft läutend das Rind.

Die Quelle singt lustig,
Es spielet der Fisch,
Rings leuchten die Augen
Der Blumen so frisch -

Die glühenden Augen
Der spielende Fisch,
Die zitternden Gräser,
Das Stimmengemisch -

Das greift mir so seltsam
Hinein in die Brust,
Wie spöttischer Nachhall
Verklungener Lust.

II.
Wie Alles, Alles blüht
Ringsum voll Lieblichkeit,
Wie Sinn sich und Gemüth
Erfreut so manche Zeit;

Wie es mich reizet auch
Einmal darein zu singen
Wenn ich aus jedem Strauch,
Das Jauchzen hör' und Klingen;

Wie es mein Mark durchblitzt
So feurig auch und kräftig,
Weil Alles lusterhitzt
Mich grüßt und lenzbeschäftigt;

Wie - doch nur still davon!
Ein Jedes minder, mehre
Hat das erfahren schon,
Wer nicht, nimm das zur Lehre:

"Wenn ihr ins Frühlingsgrün
Betrübten Herzens wandelt,
O ja, wird kalter Sinn
Für Gluth euch abgehandelt;

Doch, wenn ihr fröhlich seid,
Recht seelenfroh und glücklich,
Hüllt euch ins Büßerkleid
Nur schnell, nur augenblicklich!

Sonst fängt im besten Schwung
Den schmucken Falter - Freude
Euch quälende Erinnerung,
Die wühlt im Federkleide!

Darauf vergeht die Flur
Mit allen Herrlichkeiten,
Die Todtenblume nur
Fängt an sich auszubreiten -

Und um die Blume klagt es,
Und auf der Blume nagt es,
Und aus der Blume fragt es,
Nur ob der Blume - tagt es!

Betrübniß faßt dein Herz,
Dein Haar ergraut, dein Aug' wird starr,
Und wo du wandelst allerwärts
Ruft es: da seht, ein Narr, ein Narr!"

III.
Der Erde Grund ist offen,
Zu Wasser ward der Schnee -
Zu Wasser ward mein Hoffen,
Zu Wasser wird mein Weh.

Schon schweigt der Stürme Toben
Und milder wird der Frost -
Vertrau' und bau' auf Oben,
Von dorther kommt der Trost!

Die Lerche steigt mit Singen
Empor die Himmelsbahn -
Das heißt: Du sollst entringen
Dem Zweifel dich und Wahn!

Es geht ein freundlich Fragen
Durch all das Schöpfungsrund,
Dem will ich es doch sagen,
Daß noch meine Herze wund?

Nein, wenn die alte Gäa
So jauchzet himmelwärts,
Ruf' ich nur: Kulpa mea!
Und schlage an mein Herz.

IV.
Ich weiß, daß Frühlingswonne
Mein Herz zur Lust hinreißt
Und mir des Gleichmuths Krone
Vom Haupte legen heißt;

Daß Mai aus Lauberhütten
Voll Jubel und Geruch
Mir wird das Hirn zerrütten
Mit seinem Liederbuch;

Daß Bach mit regem Plauschen,
Im stillen Grün die Flur,
Die Saat mit leisem Rauschen
Mir reizt die Lammnatur:

Doch will ich es kühnlich wagen,
Will fort in luftiger Tracht
Wie Helden ins Treffen - jagen
Und schlagen die Freudenschlacht!
***

Und wenn ich gählings steh'
Auf eines Berges lichter Höh',
Wird Alles, was ich je verloren
Mit starkem Spruch heraufbeschworen.

Zuerst die Jugend, wie sie war:
Ganz sorgenlos, ganz Leiden bar!
Darauf die Lieb', die zauberhafte,
Die viele Lust - Leid mehr mir schaffte!

Darnach das Weib der Mythenwelt,
Das nie bei mir sich eingestellt,
Mit ihm, die seiner auch entbehrte -
Die Freundeschar - die hochgelehrte.

Und wenn sie dann gekommen sind
Schallwellen gleich, gejagt vom Wind,
So drücke ich an's Herz sie Alle
Und jauchze froh und hell zu Thale.

Dann schwinge ich den Thyrsusstab
Und eil' in raschem Sturz hinab,
Und Alles wird geherzt, gesegnet,
Ob Freund ob Feind, was mir begegnet.

V.
So ist's, wenn du dann Zeuge bist
Und mich bewegt am Wiesenraine,
Durch Hochgehölz und Erlenhaine
Hintaumeln siehst.

So ist's, wenn fremder Lenzgesang
Mit Tönen, vogelartig lockend
Und oft von lauten Seufzern stockend,
An's Ohr dir drang.

So ist's, wenn du mit hurt'ger Hand
Umfah'n auf einmal wirst vom Rücken
Und ein Gesicht voll Hochentzücken
Sich zu dir fand.

So ist's, wenn du im Abendschein,
Auch wohl vom Sternenaug' beschauet
Mich liegen siehst ganz überthauet
Auf nacktem Stein.

So ist's, und anders ist es nicht: -
Der Frühling bringt, was im Geheimen
Der Schöpfung Geister rechnen, reimen,
Hervor ans Licht. (S. 252-253)

Collection: 
1855

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