Ich und du

I.
Wenn von uns einer
die schauernden Glieder gestreckt hat, -
einer, der doch des anderen Süße
und Pracht und Schönheit in seinem stillen Menschenbildnis
als der Erde Wunder beschlossen, -
wenn von uns einer,
gottgetroffen, die Glieder gestreckt hat ...
wie dann wird der andere stehen
vor der großen, schweigenden,
ewig sich selbst nur kündenden Einsamkeit?

Denn des Entschwebten Dasein war Tröstung
dem, der geblieben.
Linde ging das Streicheln der Hände
über die Stirn, eh noch des Leidens
dunkelnde Welle abgelagert
zu des eigenen Maßes Erkenntnis.
Und es senkten sich die Wurzeln,
senkten alle sich vertrauend
in geliebtes Sein und Wesen
schlummernd ein.

Mach dich auf, der du geblieben, -
deiner eigenen Form entkleidet,
fragend, wer der Bettler sei ...
Mach dich auf, - laß deine blöden
Sinne tasten, -
laß die losgelösten Wurzeln
streben nach verborgenem Grund.

II.
Ach, du wirst an Gottes Pforten,
wirst im Dunklen stehn und lauschen, -
wirst auf Steinen knien, und deines
Schmerzes Bäche werden strömen
über dem gesenkten Haupt.
Haupt du der Verlassnen.

Bis geheimnisvolle Tröstung
rührt mit wehend lindem Streicheln
... an die Stirne nicht, die hinter
hoher Wölbung Gram umschließt. -
An des Grames Trägerin rührt Gottes lindes Streicheln.
Und das heilig Wesenhafte
strömt hinein in Wesenhaftes,
Geist in Geist.

Und ein Adler, losgebunden,
rauscht in fleischernem Gezelte,
rauscht entfesselt deine Seele,
die von Gott in letzter Treibjagd
und für immer ihm erlag.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948

Collection: 
1948

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