Hungersnot

Viele Hunderttausende liegen tot,
tief ins geschändete Ackerland
von Eisengeziefer niedergestreckt.
Aus ihren Gebeinen kriecht und droht
und aus den Wüsten von Schutt und Brand –
und nagt am Volksmark und saugt und leckt
des Krieges Schwester, die Hungersnot.

Sie nistet über Dächern und Tor,
sie senkt sich über Menschen und Vieh,
kreist über den Dörfern – ohne Laut.
Kein Auge kann sie erspähn, kein Ohr;
doch alle Sinne wittern sie,
erschaudernd wirft sich jede Haut,
und jedes Haar strafft sich empor.

Die Blicke irren hohl und starr.
Ein Kind zerrt bang an der Mutter Schurz.
Zum Kirchhof fährt ein winziger Sarg.
Der Ortsschulz und Gemeindepfarr
beraten bleich. Ihr Atem geht kurz.
Schon wird’s in der eigenen Küche karg. –
„Wir haben gesiegt!“ lallt blöd ein Narr.

Das Heer, das tot in der Fremde liegt,
das schafft der Heimat kein Brot herbei.
Doch viele zieht es sich nach in den Grund,
die niemands Feind sind, von niemand bekriegt. –
Millionen modern, von Jammer frei...
Irr tönt aus dorrendem, lallendem Mund
der Narren Ruf: „Wir haben gesiegt!“

Collection: 
1920

More from Poet

  • Mein Blut ist heiß; mein Herz schlägt toll;
    mein Hirn ist wogenden Weines voll. -
    Auf der Brust der bohrende, schrille Druck;
    auf der Zunge der letzte süße Schluck. -
    Nun heim! - Im weichen Kissen vergessen,
    was mir Wein und...

  • Nun endlich stehst du weiß und nackt
    vor süßen Sünden zitternd hier -
    und meines Pulsschlags wilder Takt
    schlägt rasend an die Sinne dir.
    Und meine Augen halten dich
    wie straffe Seile fest umspannt. -
    In meinen Willen...

  • Willst du mich höhnen, daß in meiner Qual
    ich zu dir floh?
    O wüßt' ich doch, ob irgendwo
    ich weinen - weinen könnt' einmal!
    Nennst du es Liebe, daß in rohen Nächten
    du deine Arme um mich schlangst?
    Den Hals mir...

  • Meine Augen trinken deine Blicke. -
    Meine Seele weiß von deinem Fühlen.
    Daß die schwere Nacht aus ihrem schwülen
    Drücken kuppelnd einen Stern doch schicke! -
    Meine Hände tasten nach deiner Sucht. -
    Meine Lippen küssen deine Glut...

  • Wir schwiegen nebeneinanderher, -
    um uns erstarb die graue Nacht,
    der Nächte eine - bleich und schwer,
    die ich so oft mit dir durchwacht.
    Mein Sinnen hing an deiner Qual. -
    Du fühltest, wie ich um dich litt.
    Lau ging...