Ghaselen

  Der persische Dichter spricht:

I.
Spanntest Du aus lichten Fäden Deines Haars die Kette nicht,
Die mit magischen Gewalten Deinen Sclaven fest umflicht?

Schöner ist's, von Dir gefangen, als, Dir ferne, frei zu sein,
Denn ich weil' im trüben Dunkel, fehlt mir Deiner Augen Licht.

Aber flüchtig wie Gazellen bist mein holdes Liebchen Du,
Und in Fesseln Dich zu halten, fühl' ich wie die Kraft gebricht. -

Schön will ich die Worte fügen, künstlich schlingen Reim in Reim,
Und vielleicht zum Zauberbande wird mein preisendes Gedicht.

O, wie würde doch Dein Dichter singen mit Begeisterung,
Könnt er hoffen, seine Lieder hätten dieses Vollgewicht!

Sie mit Deinem Namen zierend schickt' er stolz sie in die Welt,
Ihren Adel kennend scheuten sie nicht Krittlers Strafgericht.

Sei mir huldreich doch, mein Liebchen; horch, es singt die Nachtigall:
- "Alle Blüthen zu erwecken ist der Sonne schönste Pflicht." -

Wecke meines Geistes Blüthen, die noch still im Keime ruh'n,
Neige, freundlich mir gewährend, hold Dein Lilienangesicht;

Und ich lese voll Entzücken dort aus lichter Rosenschrift,
Daß für mich Dein liebes Herzchen noch ein gutes Wörtchen spricht.

II.
Durch die Fluren zog ich, durch die Gassen – doch vergebens!
Klagte: Holde, hast Du mich verlassen? – doch vergebens!

Echo hat allein mich nur verstanden, sie rief spottend:
"Wasser willst Du mit dem Siebe fassen – doch vergebens!"

Und voll Unmuth über meine Plagen wollt' ich endlich
Dich so recht von ganzer Seele hassen: - doch vergebens! -

III.
"Mußt auf deine Wege schauen,
Darfst dem Amor nimmer trauen,
Denn er trägt gespannt den Bogen." -
- Und ich blicke sonder Grauen
In den Himmel Deiner Augen,
Ueber welchem dunkle Brauen
Zwei gespannte Bogen bilden,
Du gefährlichste der Frauen!

IV.
Ich habe Dich so flüchtig, mein Leben, nur geseh'n,
Dein Blick hieß mich zu bleiben, Du sprachst, ich sollte geh'n.

Da stand ich unentschlossen und schaute stumm Dich an,
Mit meinen Augen fragend, was wohl mit Dir gescheh'n?

Im Kelch der Rose glänzten zwei lichte Tropfen Thau,
Auf Deinen Wangen Thränen – wie soll ich sie versteh'n?

Hat Schmerz vielleicht gefunden, viel glücklicher als ich,
Den Weg zu Deinem Herzen, verschlossen meinem Fleh'n?

Collection: 
1714

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