Erste Liebesthorheit

I.
Wie Menschenherzen einst geliebt,
Das ist wohl tausendmal gesagt;
Was Menschenherzen einst betrübt,
Das ist wohl tausendmal geklagt.

Was mir an Glück war zugemessen,
Was ich an Liebesleid ertragen,
Das singt mein Lied noch ganz vermessen?
Das wag ich noch der Welt zu klagen?

II.
Liebesfrühling
Bedeckt von des Schnees glitzernder Fläche
Liegt starr und kalt die tote Flur;
In eisigen Fesseln knirschen die Bäche,
Im Winterschlaf träumt die erschöpfte Natur.

Hoch oben am Himmel flammt rot wie Blut
Die Ampel der Schöpfung, der Sonnenball,
Gießt Winterstrahlen voll wärmender Glut
In das frostig schauernde Weltenall.

Am Fenster steh' ich träumend und seh'
Hinaus auf die flimmernden, sonnigen Strahlen,
Wie sie auf glitzerndem weißen Schnee
Hellschimmernde, bunte Krystalle malen.

Und wie ich stehe am Fenster allein
Und lausche der Winde Sturmeslied,
Da fällt mir ein Strahl in das Herz hinein,
Daß weiche Sehnsucht die Seele durchzieht.

Ein Sehnen so mild das Herz umwallt,
Es ist wohl lockende Frühlingsmahnung,
Die das klopfende Herz voll Allgewalt
Durchströmt mit süßer Liebesahnung.

Nach dem Liebeslenze lechzten die Augen,
Nach dem Lenze das drangvoll atmende Herz,
Und es haben ihn nun die leuchtenden Augen,
Und es hat ihn das sehnend unruhige Herz. -

III.
Wenn ich in Sehnsuchtsglut erbebe
Nach einem Herzen unschuldsrein,
Dann hüll' ich mich in's Truggewebe
Holdsel'ger Liebesträume ein.

Und eine Welt bau' ich, im Glanz
Von tiefer Neigung süßen Scherzen,
Und wind' mir einen Dornenkranz
Von selbstgewollten Liebesschmerzen.

IV.
Will ich härmen, will ich klagen
Um ein traumentschwunden Glück,
Spricht der Kopf: "Du mußt ertragen!"
Und das Herz spricht: "Hol's zurück!"

V.
Was das Glück uns zugemessen
Einst in holder Harmonie,
Das wird Eine leicht vergessen,
Aber Einer wird es nie!

VI.
Als deine Liebe gestorben,
Für mich dein Herze tot,
Da glaubt ich vor Schmerz zu vergehen
In Qual und tiefer Not.

Doch milden Trost gab die Muse,
Die all meinen Schmerz versteht.
Ich werde in heimlichen Stunden
Heimlich ein kleiner Poet.

VII.
Ich sehe viel Worte in deinem Brief,
In deinen Worten viel heimliche Schmerzen,
In deinen Schmerzen ein krankes Herz,
Die alte Liebe in deinem Herzen.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899

Collection: 
1884

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