Ein Gott, Ein Weib

Ich bin der Herr, dein einz'ger Gott, und du
Sollst neben mir nicht andre Götter haben,
Ruft das Gesetz dem Menschenkinde zu,
Denn in dem Einen hast du alle Gaben;
Doch daß mit Augen du die Wahrheit schaust,
Sei an die Seite dir das Weib gegeben,
In dem du einen Tempel dir erbaust
Und heiligst und erfüllst ein ganzes Leben.

Dein Frühling ist, wenn dich ein Weib entzückt,
Denn ohne Liebe duftet keine Blume,
Und schönrer Glaube hat dich nie geschmückt,
Als wenn du kniest vor diesem Heiligthume;
Ja glaube, dein ist, was dir blüht und lacht,
Du sollst der Erde Seligstes erfahren,
Besitz' es ganz und lasse seine Macht
Auf immer deinen Glauben dir bewahren.

Des Weibes Busen hat genährt die Saat
Der besten Männerzierden, die wir loben,
Aus deines Weibes Brust ist deine That,
Die dich erhebt, weil dich dein Weib erhoben;
Sei nur so groß an Seele, daß du sie
Auf ewig hoch von allen unterscheidest,
Und schönern Trost erfährt dein Auge nie,
Als wenn sie doppelt leidet, wenn du leidest.
Sei nur so stolz, das Höchste ihr zu sein,
Und stolz wird sie von dir das Höchste halten,
Was du in ihr erschaffen hast, ist dein,
Nie wird sie dir, und nie du ihr veralten;
Ein täglich Werden ist es, das euch lacht,
Der Erde Seligstes dürft' ihr erfahren,
Besitzt es ganz und lasset seine Macht
Auf ewig euren Glauben euch bewahren.

aus: Gedichte von J. G. Fischer
Dritte vermehrte und aus verschiedenen Sammlungen
vervollständigte Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883

Collection: 
1883

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