(Estnisches Volkslied bei Fellin und Pernau)
War einmal ein junges Weibchen,
Ging hinaus die Herde hüten.
Fand ein Huhn im Wiesengrase,
Trug es sorgsam mit nach Hause.
Aus dem Hühnchen ward ein Mägdlein,
Ward die schöne zarte Salme.
Lange harrten nicht die Freier,
Und es sandten ihre Söhne
Dreie: Sonne, Mond und Sterne. -
Und mit fünfzig schwarzen Rossen,
Sechzig kühnen Rossebändgern
Kam daher der Sohn des Mondes.
Aber Salme rief vom Speicher,
Sprach herunter aus dem Steinhaus:
"Mit dem Monde geh ich nimmer,
Zweien Aemtern muß er dienen.
Einmal steigt er aus der Dämmrung,
Aus dem weißen Abendnebel,
Dann aus kühlem Morgenthaue." -
Schau, mit fünfzig rothen Rossen
Kam der Sonne Sohn gezogen,
Aber Salme rief von ferne:
"Nein, zur Sonne geh ich nimmer!
Böse Weisen hat die Sonne.
Durstig schlürfen ihre Flammen
Aus dem Blau die letzte Wolke;
Aber wenn die Sensen blinken,
Braust in Strömen rings der Regen.
Streut der Sämann weißen Hafer,
Dörrt den Boden sie zu Staube.
Sie verschlingt die Hafersaaten,
Sie versengt die Gerstenfelder,
Fesselt in dem Sand den Flachshalm,
In der Furche selbst die Erbse,
Dörrt das Heidekorn am Hause,
Und die Linsen Blatt und Blüte." -
- Endlich kam der Sohn der Sterne,
Kam mit fünfzig goldnen Rossen,
Sechzig starken Rossebändgern.
Aber Salme rief vom Speicher:
"Bringt zum Stalle Sternleins Rosse,
Seinen Hengst zur besten Krippe,
Duftges Heu werft in die Raufe,
Hafer schüttet in die Tröge,
Hüllt das Roß in feine Linnen,
Breitet seidne Teppich unter,
Daß sein Huf in Hafer ruhe
Und sein Haupt in Seide schlummre.
Sternlein selbst mag sich erquicken
An dem säuberlichen Tische,
An der glattbehaunen Wandung
Auf der Bank von Eberäschen,
Bei der wohlgewürzten Schüssel,
Ueberstreut mit reichem Pfeffer."
Und man führt den Stern zur Tafel:
"Trinke, Sternlein, iß und trinke,
Lebe, Sternlein, leb in Freuden!"
Sternlein aber schlägt ans Schwert sich,
Daß der helle Goldschmuck klirret,
Daß die Silbersporen rasseln:
"Nein, nicht eher will ich kosten,
Bis ich sie begrüßt, die Schöne!
Führet Salme mir herüber!"
Salme rief vom Speicher drüben,
Von dem Hofplatz in die Stube:
"Langsam gürtet sich die Waise,
Langsam kleidet sich die Arme.
Niemand, der den Anzug wählet,
Keine Aeltern, die mich kleiden!
Frauen schmücken mich dem Gaste,
Alte Mütter aus dem Dorfe.
Du, mein Bräutgam, herzger Knabe,
Gönntest Zeit zu schlankem Wuchse,
Warte, bis ich nun mich schmücke."