Der Epheu

Wie eine Rose, taugeschmückt, die Strahlen
Des neuen Morgens grüßt, erwachtest du,
Melitta; lächelst froh dem Tag entgegen,
Halb Kind, halb Jungfrau, blumenselig.
Der Frühlingsmorgen lockt dich in den Wald,
Bald hält sein kühles Dunkel dich umfangen,
Durch das nur flücht'ge Spuren lichten Goldes
Auf deinen Pfad der sonn'ge Himmel streut.
Und freudig grüßt dich der Gesang der Vögel;
Willkommen nicken dir die bunten Blumen,
Die aus dem Grün mit klaren Augen schauen.
Der Erde holder Frühling grüßt den Frühling,
Der dir im Herzen und im Antlitz glänzt.
So wandelst du dahin; da trifft dein Blick
Den stolzen Eichbaum, der zum Himmel ragt,
Indes um seinen Stamm des Epheu Ranken
Sich liebend winden, gleich als wollten sie
Mit zärtlichen Gekose fest ihn halten.
"Wie schön muß so ein Kranz von Epheu lassen,"
So sprichst du und die schönen Blätterranken,
Die glänzendgrünen, brichst du von dem Baum,
Und scherzest froh - du hörst die Klage nicht
Des Epheus, der mit schmerzlich bangem Flüstern
In seiner stillen Waldessprache trauert:
"Auf kalter Erde lag ich dumpfen Sinns,
Doch mich ergriff im Staub geheime Sehnsucht,
Zu suchen ihn, den Baum, den schönen, starken.
Ich fand den Hort, ich hielt ihn fest und fester
Und schmiegte innig mich an seinen Stamm.
Mit aller Kraft wand ich an ihm empor
Zu seinem Gipfel mich, der in der Sonne
Sich wiegt; so teilt' ich Licht mit ihm und Freude.
Sein Leben war das meinige geworden;
Mit ihm begrüßt' ich froh des Frühlings Nahen,
Der Kraft ihm gab, zu grünen und zu blühen,
Und freudig glänzten, seinen Schmuck zu mehren,
Die hellen Blätter, die mir reich entsproßten.
Und wenn der grimme Winter ihm geraubt
Des Sommers grüne Tracht, und seine Zweige
Der Schnee umfing, da schmückt' ich stets
Den kahlen Baum mit immergrünen Blättern
In fester Treue, die kein Unglück bricht.
Nun bin ich, ach! von meinem Hort getrennt,
Du hast gebrochen mich vom Baum der Liebe,
Und wenn ich nun zu flüchtig eitlem Schmuck
Die Locken dir, die jugendlichen, ziere,
So werd' ich bald verwelken und vergehen -
Mit meinem Tode ende bald mein Schmerz!
O möge, Maid, dir gleiches nie geschehen!
O möge nie des Schicksals kalte Macht,
Wie jetzt mich deine Hand, vom Freund dich trennen,
Dem sich dein Herz, dein Leben wird verbinden!
O fühle nie, was jetzt ich schwer empfunden!"
So spricht der Epheu leise; doch Melitta,
Die grünen Ranken sich zum Kranze windend,
Vernimmt in Lebenslust die Seufzer nicht;
Der Dichter nur, er hört die Stillen Klagen,
Dem stummen Schmerze will er Worte leihen;
Denn wie die Freude soll das Leid verklären
Sein Lied; es gleicht dem Tau, der strahlend schmückt
Die welken Blätter, wie die farb'ge Blüte.

* * *

So schrieb ich einst vor langen, langen Jahren.
Wie oft hat sich seit jenem Frühlingsmorgen
Der Baum im Lenz zu neuer Pracht verjüngt!
Wie oft hat wieder das Gewand, das grüne,
Der Winter ihm mit eis'gem Hauch geraubt!
Wie fest hat neuer Epheu ihn umschlungen
Im Lenz zum Schmuck, zum Trost in Wintertagen!
Nun lacht ein Frühlingsmorgen wie vor Jahren,
Und wieder gehst, Melitta, du im Wald,
Und wieder trennest du des Epheus Ranken
Vom Stamm der Eiche: aber keinen Kranz
Willst für das längstverbleichte Haar du flechten;
Nicht scherzend nahst du, nein, in stillem Ernst;
Es scheint der Epheu deinen Gram zu ehren
Und läßt von deiner Hand sich schweigend brechen.
Mit deinem Funde eilst du aus dem Dunkel
Der Wälder zu der off'nen Bergeshalde,
Wo in dem Morgenstrahl auf dunklen Gräbern
Die Kreuze reich im Schmuck des Goldes schimmern.
Dort stehst du still und weinst an einem Grabe,
Auf dem ein Kreuz auf weißem Marmor ruht.
Am Fuß des Denkmals gräbst du ein den Epheu,
Indessen deine Thränen ihn betauen;
Dann sprichst du seufzend zu den grünen Schossen:
"Hier an dem Marmor, unter dessen Stein
Mein Liebstes ruht, mein Glück, mein Leben,
Sollst wurzeln du, und neue Blätter treiben
Und aufwärts mit den grünen Zweigen ranken.
Und halte fest das Kreuz, des Trostes Zeichen,
So fest wie es mein Herz im Gram umfaßt!
So strebe auf zum Licht aus Grabesdunkel,
Gleich dem Gedanken, der aus Erdenweh
Zum fernen Himmel hoffend sich erhebt!"

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893

Collection: 
1893

More from Poet

  • Wasser bring' ich vom Gebirge,
    Von des Berges reinstem Quell,
    Kalt wie Schnee sind Quell und Wasser;
    Kauft das Wasser klar und hell!

    Aus dem Fenster schaut mein Liebchen
    Mit den Augen licht und hell,
    Wie das...

  • Führt mein Feind dich zum Altare;
    Aber dann in stiller Kammer
    Ruh' ich auf der Totenbahre!

    Purpurn werden dir die Rosen,
    Schöne Braut, das Haar bekränzen,
    Während auf mein bleiches Antlitz
    Traurig weiße Kerzen...

  • Junge Pappeln kann ich biegen,
    Daß ihr Stamm in Splitter bricht,
    Einen Stier kann ich bezwingen,
    Doch dein Herz, Geliebte, nicht.

    Schmettert, eherne Trompeten,
    Öffnet schnell dem Stier das Thor!
    Dir zu Ehren...

  • Düstre Wolken, Wetterleuchten
    In der schwülen Sommernacht;
    Doch durch Dunkel und durch Blitze
    Dringt des Mondes helle Pracht.

    Liebste, wie ein Wetterleuchten
    Zuckt in dumpfer Brust die Qual,
    Aber in die dunklen...

  • Und von neuem glüht dein Herz?
    "Eher liebend untergehen,
    Als den Tod des Herzens sehen."

    "Kaum entflohn dem Wellentod,
    Steigt der Seemann in das Boot,
    Zieht es vor im Meer zu sterben,
    Als am Lande zu verderben...