Wohl denk' ich allenthalben,
O du Entfernte, dein!
Früh, wenn die Wolken falben,
Und spät im Sternenschein.
Im Grund des Morgengoldes,
Im roten Abendlicht,
Umschwebst du mich, o holdes,
Geliebtes Traumgesicht!
Es folgt in alle Weite
Dein trautes Bild mir nach,
Es wallt mir stets zur Seite,
In Träumen oder wach;
Wenn Lüfte sanft bestreifen
Der See beschilften Strand,
Umflüstern mich die Schleifen
Von seinem Busenband.
Ein Abglanz seines Schleiers
Scheint auf die Saat gewebt;
Sein Hauch, was des Gemäuers
Bewegten Eppich hebt;
Der Kleidung weiche Falten,
Geformt aus Glanz und Duft,
Entschwinden in den Spalten
Der öden Felsenkluft.
Wo rauschender und trüber
Der Strom Gebirge trennt,
Weht oft sein Laut herüber,
Den meine Seele kennt;
Wenn ich den Fels erklimme,
Den noch kein Fuß erreicht,
Lausch' ich nach jener Stimme;
Doch Kluft und Echo schweigt.
Wo durch die Nacht der Fichten
Ein Dämm'rungsflimmer wallt,
Seh' ich dich zögernd flüchten,
Geliebte Luftgestalt!
Wenn, sanft dir nachzulangen,
Der Sehnsucht Arm sich hebt,
Ist dein Phantom zergangen,
Wie Taugedüft verschwebt.
aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829