September 1924
Du armes Volk! Von aller Welt betrogen,
Besiegt im Kampf, im Sehnen selbst besiegt,
Sinnst du, das Hirn mit Wissen vollgesogen,
Der Frage nach, woran dein Unglück liegt.
Und schon gelingt dir trefflich zu erklären,
Warum bei so beschaffner Produktion
Des Einen Teil der Schweiß ist und die Schwären,
Des Andern Teil Theater, Sport und Spon.
Materialistisch weißt du zu begründen
Der Wirtschaftsform Naturnotwendigkeit
Und widerlegst den Wahn von Schuld und Sünden
Als Narrenglauben der Vergangenheit.
Wie scheint der Mahner dir naiv und komisch,
Der an die Seele pocht: Wach auf! Hab Kraft!
Du rechnest, wann historisch-ökonomisch
Die Stunde reift auf Grund der Wissenschaft.
Du lachst des Spruchs, Tat wachse nur aus Wollen,
Der manchmal noch in wirren Köpfen spukt.
Du siehst am Faden die Entwicklung rollen,
Erkennst dich selbst als deiner Zeit Produkt.
Du lerntest längst nach Phasen zu begreifen
Den Aufstieg der Geschichte und Kultur
Und lehnst es ab, in Träumerei zu schweifen:
Kleinbürger-Utopien hemmen nur.
Du kennst die Welt, durchdenkst sie dialektisch;
Empirisch ist dein Tun, dein Sinn real!
Sind deine Kinder skrofulös und hektisch –
Du weißt Bescheid, so wirkt das Kapital.
Und stehn sie hungrig vor des Reichen Türen,
Der dich – Rebell! – vertrieb aus der Fabrik,
Du senkst den Kopf in Bücher und Broschüren
Zum Studium der sozialen Republik.
Und liest: die Erde gäbe allen reichlich,
Gehörte sie nur allen; – und du liest:
Der schnöden Gegenwart folgt unausweichlich
Die Zukunft, die ein freies Volk genießt.
Die Zukunft kommt! Von selbst und ungerufen!
In stolzem Trost schwelgt deine Phantasie.
Nur eine Serie von Entwicklungsstufen
Steht noch davor. – So lehrts die Theorie.
Du liest und lernst, den Rücken krumm gebogen,
Durchwühlst du Heft um Heft und Band um Band.
O armes Volk! Von aller Welt betrogen,
Betrügst du selbst dich um dein Sehnsuchtsland.