Eine halbe Stunde Seelenleben.
Er saß und konnte nicht los
aus dieser drückenden Qual.
Immer wieder
sank es über ihn,
wie ein magnetischer Ring um die Stirn,
und lähmte seine Hand,
seit Wochen nun schon,
seitdem er wieder gesund war,
immer wenn er malen wollte,
immer die eine, große, unerfüllte Lust,
das Ziel der hundert frohen
Mühen und Entwürfe,
das Bild, das Bild:
ihr Gesicht –
was er auch Neues vornehmen mochte.
Er hörte sie im Nebenraum hantieren,
durch den Teppich hindurch.
So verhalten klang es,
so fremd.
Und die Brandflecken auf dem Teppich! –
Er fühlte seine starken
Schultern zucken,
ohne daß er’s wehren konnte.
Er sah müde und verächtlich
in die Landschaft auf der Staffelei,
und warf den Pinsel weg,
und sah scheu nach der Wand drüben,
nach dem Menschenbilde da.
Da hing es und wartete,
das letzte von den vielen;
das sie noch gerettet hatte aus dem Brande,
im letzten Augenblick,
aus den fliegenden Flammen.
Es war wie ein Bann:
diese ungelöste Aufgabe,
dies Gesicht.
Oh gewiß – es war ja fertig,
war ja ein Bild,
ein Bild, wie nur Er es malen konnte:
dies Weib da, mit der Narzisse
in den streng gefalteten Händen.
Sie duftete fast,
die vorgebeugte
makellose
leuchtende Blüte
mit dem purpurgelben Krönchen
auf dem weißen Stern,
die berauschende Blüte,
vor den jungen, nackten, vollen Brüsten.
Und darüber so stumm
ihr gewährender Mund;
und darüber die blauen
drohenden Augen,
groß und dunkel ins Weite gerichtet;
und darüber ihre Haarglut,
matt und schwer und rot wie Kupfergold,
grünlich umschattet
vom spitzen, glänzenden Laubwerk
des alten Myrtenbaumes
mit den kleinen,
schimmernd springenden Knospen.
Ja, seine Freunde hatten gescholten,
daß er’s der Welt nicht zeigen wollte;
damals.
Aber das war es ja:
auch jetzt nicht!
und nie, niemals,
bis er das Eine gefunden,
das noch drin fehlte,
Ihm nur sichtbar,
das nur Er vermißte in seinen Bildern,
das letzte Rätsel ihres Gesichtes:
Das, warum er sie liebte.
Oh, und nun war’s unmöglich,
war es zerstört
dies stille lebendige Rätsel,
von den Flammen gefressen
das Geheimnis ihrer Züge,
von Narben zerrissen
dieser stolze Hals,
diese seltenen Lippen;
und um seinetwillen.
Und er hatte doch gewußt,
mit seiner ganzen Kraft gewußt,
daß es endlich ihm glücken würde,
daß er’s ihr ablauschen würde
und auf die Leinewand zwingen,
dies lockende Wunder;
nicht aus den Augen,
nicht aus den Mundwinkeln,
da saß es nicht,
in keiner Einzelheit,
auch in der Stimmung nicht –
das hatte er Alles
versucht und getroffen.
Es war ein Ausdruck, ein Ausdruck;
und er war ihm so nahe gewesen,
in seinem letzten Bilde,
dem an der Wand da drüben,
dem einzigen übrigen.
Und jetzt, jetzt –?
er preßte die Finger ineinander,
er hätte sie blutig drücken mögen.
Und Alles, weil er sie liebte;
grade weil.
Und weil er so stark war.
Ob es wol Strafen gab?
Strafen der Kraft?
aus sich selbst?
Der gebrochene Fuß! –
Ob Liebe Sünde war?
Nicht überhaupt,
aber für Ihn:
Sünde gegen die Kunst,
Uebermannung!
Denn es war ja nicht gleich so gewesen;
was ging ihn ihre Seele an.
Aber allmählich –
oh, das war’s ja aber,
das Heilige,
auch für den Künstler,
Das, was ihm die Augen geöffnet hatte,
das Allerheiligste der Form:
die verschlossene Seele,
die Gegenseitigkeit alles Lebendigen! –
Und so war’s denn geworden:
das Modell zum Weibe,
der Leib zum Wesen,
und immer gegenseitiger
dem Künstler ihre Schönheit,
und immer gegenseitiger
dem Menschen ihr Geschlecht.
Nein, er wollte es nicht;
nur mit den Augen wollt’er sie haben,
ihre Augen,
die nachtblau dunklen, schwimmenden Blumen,
ihr quellentiefes, stilles Gesicht,
Alles! –
Und doch:
wie er sie dann erkannte,
diese Gestalt,
Blick für Blick,
und Ahnung um Ahnung sicherer wurde,
fester im Bilde,
und sich alles ihr entgegenspannte
in seinen Sinnen,
und ihre Innigkeit mit seiner Sehnsucht wuchs:
es war ja Natur, Natur!
war das Ohnmacht?
jener Augenblick,
nach jenem letzten Bilde,
als er sie am Handgelenk heranriß,
noch zitternd vor schaffendem Entzücken,
und ihr den neuen Ausdruck zeigte,
der sie fast enträtselte,
diese verlangende Keuschheit,
und dann sie ansah,
schwül und durstig,
das Eine Letzte suchend,
und sie’s nicht aushielt länger
und an ihm niederwankte,
so warm und schwer,
und er an ihr:
oh Versunkenheit! –
Und dann, dann:
es war zu hart,
zu widersinnig hart:
wie er sie hochgerissen hatte mit tollen Armen,
schreiend vor Lust und doppeltem Ueberglück,
und mit ihr über den Schemel sprang:
dieser tückische Knöchelbruch, –
um den er damals noch lachen konnte
in seiner schwelgenden Liebe,
damals.
Er lauschte.
Was sie wol dachte jetzt.
An ihn nur.
Das fühlte er.
Das war das Schwere,
der magnetische Ring.
Wie still sie wieder saß;
daß er sie nur nicht merken möchte,
da in der kleinen Kammer,
hinter dem Teppich;
nichts rührte sich;
so war’s nun Tag für Tag.
Und Abends die Angst,
die heimlich Angst,
mit der sie sich im Dunkeln hielt,
im Halblicht,
oder ihr Gesicht verhüllte,
daß er es nur nicht sehen möchte;
daß er sie nur vergessen möchte,
ihre tote Schönheit,
das Bild ihrer Seele,
diese quälende Unmöglichkeit.
Ja: die Angst in der Luft,
das war’s,
das machte ihn zunichte,
diese Liebe.
Ja, und war denn das noch Liebe?
dieser lähmende Zwang!
War nicht Alles blos Erinnerung.
Nicht einmal Nachts,
nicht anrühren konnt’er sie mehr,
ohne daß es wieder vor ihm stand,
das ganze furchtbar rote Schauspiel,
und ihm heiß und kalt die Sinne benahm.
Wie sie ihn geweckt,
ihn herausgehoben hatte
mit seinem kranken, dick verschienten Fuß
aus dem qualmenden Bett,
hinter ihr her schon die leckenden Flammen,
durch die Thür
und hinab die dreizehn dunklen Treppenstufen –
oh, sie war stark,
fast so stark wie Er!
und dann zurückgestürzt war
und sich nicht halten ließ,
wieder hinauf,
um das Bild noch zu retten,
das eine wenigstens,
hinein in das glühende Viereck oben
mit den langen, offenen Flechten,
die im Feuerschein flossen wie blutige Seide –
dies Flimmern!
Und auf Einmal der Schrei,
dieser lange, zerreißende Schrei,
und das polternde Bild,
herunter zu ihm,
und oben sie,
groß,
in entsetzlicher Pracht,
mit den greifenden Armen,
die roten Haare zu bläulichen Funken zerflatternd,
eine sprühende Glorie;
züngelnde Flügel
um den keuchenden Busen;
und die grauenhaft flackernden Augen!
Und Er
hilflos da unten sich krümmend!
Und noch Einmal der Schrei,
der heiße, tierische Schrei,
und sein eigener Schrei:
wie sie wieder sich dreht,
eine brennende Garbe,
noch Einmal hinein –
daß ihn die Sinne verlassen,
bis die Leute ihn wecken
und sie neben ihm liegt,
in den Teppich gewickelt,
nach dem sie zurückgerannt
in letzter, gräßlicher Besonnenheit,
den lodernden Schmerz zu ersticken,
das tapfere, starke Geschöpf –
seine Retterin!
Ob sich das wol malen ließe:
feurige Flügel?
Nein Narrheit;
so wenig wie der Sonnenstrahl,
der da auf der Palette blitzte.
Ach, das Sonnenlicht!
wie ihr Haar drin schillerte früher,
so glatt und wogend;
ob es wol wiederwachsen würde?
Aber was nützte das!
Ihr Gesicht,
das war das Unersetzliche;
die Erinnerung,
die ihn zu ihr zog
und von ihr stieß.
Er stierte zu Boden.
Wenn sie doch gestorben wäre,
ja, gestorben,
nicht blos für Ihn.
Dann würd’er zu ihr beten können,
sein ganzes Leben lang,
ruhig,
traurig,
wie als Kind zur Jungfrau Maria.
Nein, Maria Magdalena
hatte er immer gemeint,
immer wenn er Sonntags knieen mußte:
seitdem er sich heimlich die Bibel gekauft,
bis die Mutter sie fand und ihn schlug, –
Magdalena,
die fühlende Sünderin.
Ach, was sollte dies Grübeln.
Sie lebte ja,
lebte und liebte ihn,
und war gesund,
gesund wie Er.
O das schöne, blühende Wort!
Oh, ihre quälende Häßlichkeit!
ihre mahnende Nähe!
die Lust und der Abscheu!
Ohnmacht!
Er sah wieder auf,
nach dem Teppich,
nach dem Narzissenbild.
Wenn er’s verkaufen würde.
Ob er dann vielleicht Ruhe hätte.
Wozu auch diese Versessenheit,
ohne Sinn und Verstand,
auf das eine einzige Bischen Seele.
Wozu denn überhaupt
der ganze pedantische Tiefsinn.
Warum war’s ihm nicht genug
an dem farbigen Witz, wie den Andern;
an der Lichtflunkerei,
über die er sonst spottete.
Es war doch so einfach:
was Neues probiren! –
Aber sie, sie blieb ja.
Und wenn er das Bild in Stücke zerschnitte,
die Erinnerung blieb,
solange sie selbst blieb;
und mit ihr der Zwang.
Und die Erinnerung
ließ sich nicht malen.
Freiheit! – Ja:
das war das Ungesunde,
das war unsittlich:
diese widernatürliche
dumpfe Gemeinschaft,
Knechtschaft,
Leibeigenschaft!
Er starrte auf die Palette,
ein Wolkenschatten wischte den Lichtstrahl aus;
wenn er ihr Schminke gäbe –
ihn ekelte.
Und die Form
bliebe ja dennoch zerstört,
die Seele im Gesicht.
Und ihre Scham! ihr Stolz!
dann
würde sie
gehen!
Aber das wollte er doch?
Dann das Bild auf die Ausstellung,
weg damit,
eine Reise;
Gletschersonne!
Ein, zwei Jahre würd’es schon noch reichen,
das Geld für das Bild
und der Rest seiner Erbschaft;
er würde blos arbeiten.
Und er hatte ja genug gelernt an ihr!
er wollt’es den Andern schon zeigen,
warum er so lange im Stillen gesessen! –
Und sie?
Sie war ja klug genug,
die Höhere Tochter;
sie konnte ja Unterricht geben,
oder als Buchhalterin –
oder er würde ihr selber was schicken.
Nein: das würde sie nicht nehmen.
Und:
und wenn die Leute sie nicht haben wollten:
mit ihrem entstellten Gesicht! –
Oh, dies Gewissen!
Warum hatte er dies Gewissen!
Ja: für die Kunst, da war’s gut.
Aber fürs Leben:
fürs Leben brauchte man doch kein Gewissen! –
Nicht, weil er sie verführt hatte;
nein!
eher sie ihn.
Oder weil sie eine Verstoßene war –
eine Verstoßene?
um seinetwillen!
Nein: das war ja aus ihr selbst gekommen.
Warum war sie denn wiedergekommen,
noch eh er von Liebe was ahnte;
und immer wieder,
bis sie bleiben mußte.
Das war ihr Verhängnis!
ja, ihr eigenes Verhängnis:
ihr Wille! –
Weil sein Ernst sie lockte;
was die Eltern auch sagen mochten.
Weil sie seinen reinen Willen fühlte.
Aber:
aber war er denn rein?
Ja –
bis er ihn verlor,
in jenem Augenblick,
den Willen zur Form.
Nein, schon vorher:
bis er die Seele sah.
Aber das war ja die Form,
die verschlossene Seele;
was Er gesucht hatte,
was sie empfunden hatte,
warum sie ihm vertraute,
ihm, dem Künstler.
Nein, auch dem Menschen!
dem Menschen, der über sich stand,
über Sich und Natur,
über Seele und Leben.
Und doch nicht!
es war ja das Selbe,
die selben Sinne,
die selbe Natur:
die Kraft des Künstlers, des Menschen.
Ja: da hing es:
jener Augenblick,
jenes Bild:
seine Kunst, sein Wille,
sein Leben, ihr Leben,
Das war Alles das Selbe,
das folternde, drohende Selbe!
denn sein Leben,
das, das war er ihr schuldig,
ihr, seiner Retterin!
sein Leben,
seine Kunst,
seine Arbeit,
seinen Zweck und Glauben!
Er fuhr zusammen,
ein neuer Wolkenschatten
huschte durch die Stille.
Er preßte die Augen zu;
er wollt’es schon gar nicht mehr sehen,
das fordernde, drohende Bild;
er haßte es schon!
Er drückte die Fäuste in die Augen,
daß sie flimmerten.
Er sah es nur mächtiger,
im sprühenden Glanz,
und sah sie, sie,
wie sie jetzt war,
mit dem schiefen, gestaltlosen Mund,
mit dem haarlosen Kopf,
mit den Narben um Nase und Kinn,
mit dem blanken, striemenroten Hals.
Er stöhnte laut auf,
daß ihn graute
vor der hohlen, einsamen Stimme.
Da:
das war doch seine Stimme nicht?
Zagend, suchend
kam es durch den großen Raum:
„Riefest du?“
weich und schwer,
wie der Teppich, den er schwanken hörte.
Er sah nicht auf.
Er fühlte, wie sie fragend stand.
Nur nicht jetzt ihr Gesicht!
Er wollte sprechen.
Da kam sie.
Er wollte den Kopf schütteln;
aber ihre Hand auf seiner Schulter,
ihr Warten!
Es war nicht möglich,
es zwang ihn hoch,
er mußte sie ansehn,
ansehn,
am weißen Morgenkleid hinauf,
ihren Hals,
und –
Rot,
und ein brausendes Schwarz,
Seele,
der Blick,
ihr Gesicht,
es war Uebergewalt,
da stand sie,
hoch,
starr,
erbebend:
„Ich
werde
gehen“ –
und wollte sich wenden.
Und Er
sah sie an,
an,
und seine Augen wurden immer weiter,
daß sie nicht loskonnte,
immer durstiger,
und seine Finger tasteten und griffen,
es zu fassen,
zu halten,
das unerkannte
letzte
Eine,
das selige Wunder,
Das, was ihn zu ihr in die Kniee riß,
warum er sie umklammerte,
weinend,
„Offenbarung“ stammelnd:
ihre große Sittlichkeit,
die Schönheit ihrer Erschütterung!
Und nun,
weich,
weich, schwer und leise,
sank auch sie herab an ihm,
Knie an Knie,
kindermild,
anders wie damals;
und er küßte die gestaltlosen Lippen
und schlang die Hände um den haarlosen Kopf
und hielt sie von sich,
schauend – schauend – nein:
Das lag nicht in den Augen,
nicht in den Mundwinkeln,
in keiner Einzelheit:
das würde ihn zur Andacht zwingen,
und wenn sie ganz verschleiert vor ihm läge:
diese strömende Hohheit,
diese heilige, siegende Demut.
Und er mußte es sagen,
lachend,
das Ueberflüssige –
„Ich liebe dich“.
Und wie sie sich erhoben von den Knieen,
in ihrer Klarheit,
und der breite Sonnenstrahl
auf der Palette blitzte,
nach der Wand hinüber,
nach dem Myrtenbilde,
da stieg es vor ihm auf,
neu und mächtig:
„Weißt du, wie ich dich malen werde?
Blut und Nacht,
Sterne,
nur Auge und Bewegung:
Magdalena,
der Welt den Gekreuzigten zeigend“.
„In den liebenden Armen“,
sagte sie dunkel.
Ein Wolkenschatten ...