Das Bristol-Trauerspiel

                    oder
     Charles Bawdin’s Tod.
     (Nach Thomas Chatterton.)

Aufdämmert der Tag, der Hahn kräht hell,
     Blaß schimmert des Mondes Horn,
Und im Morgenrothe der Tropfen Thau
     Glitzert am Hagedorn.

König Edward aber nicht Hahnenschrei
     Rief ihn vom Schlummer wach;
Drei Raben weckten ihn mit Gekreisch
     Oben am Wetterdach.

Und der König fuhr auf: „beim ewigen Gott,
     Ich versteh’ euer Mahnen und Schrein;
Charles Bawdin, der soll sterben heut
     Und eure Speise sein!“

Der König rief’s; eine Kanne Wein
     Leert’ er bis auf den Grund;
Ritter Canning stand zu Seiten ihm, –
     Dem war das Herze wund.

Und Canning sprach: „mein König und Herr
     Vergieße nicht Bawdin’s Blut,
Was immer er dir Böses that,
     Ihm galt es brav und gut.

„Dem Lankasterkönig hat er gedient
     Offen und sonder Scheu,
O Herr, an Deinem Feinde auch
     Ehre Muth und Treu.“

Er sprach’s. Noch schwieg der Ritter kaum,
     Da zürnet der König und schnaubt:
„Eh Sternenschein auf die Erde fällt,
     Fällt heut Charles Bawdin’s Haupt.

„Er war ein Verräther, er hat seine Hand
     In’s Blut der Yorks getaucht,
Nicht eher hab’ ich Rast noch Ruh
     Bis seines gen Himmel raucht!“

Drauf Canning ernst: „nur Gnade Herr
     Machet des Siegs Dich werth;
Den Oelzweig und die Palme nimm
     Nicht aber das Racheschwert.

„Gedenk, wir Menschen allzumal
     Sind nur an Sünde groß,
Ein Einziger auf Sankt Petri Stuhl
     Ist schuld- und fleckenlos.

„Vergieb! das festiget Dir auf’s Haupt
     Die kaum gewonnene Kron’
Und trägt Dein Scepter fort und fort
     Auf Enkel und Enkelsohn;

„Doch willst in Haß, mit blutigem Thau
     Bespritzen Du Dein Kleid,
So reißen finstre Mächte Dir
     Vom Haupte das Goldgeschmeid.“

Der König hört’s. „Fort, Canning, fort!
     So lange Charles Bawdin lebt
Will dürsten ich, und ob am Gaum
     Mir auch die Zunge klebt.

Die Sonne, die da drüben steigt
     Soll seine letzte sein!“
Der König schwieg, in Cannings Bart
     Rann eine Thrän’ hinein.

Und durch die Gassen, trüben Sinn’s,
     Alsbald der Ritter schlich;
In Bawdin’s Kerker trat er ein,
     Und weinte bitterlich.

Der sah des Alten Herzeleid;
     Er trat an ihn heran:
„Zu sterben, Freund, ist Menschenloos,
     Was thut es „wie“ und „wann“!

„Mir war das Schicksal dieses Tags
     Von Anbeginn bestimmt;
Demüthig trägt ein Christenherz
     Was Gott ihm schickt und nimmt.

„Mir ist der Tod Erlösung nur
     Von Allem, was ich litt; –
Was hast Du, daß in’s Auge Dir
     Die Mannesthräne tritt?!“

Sprach Canning: „wohl um Deinen Tod
     Hab ich der Thränen viel,
Doch denk ich an Dein Weib und Kind
     Find ich nicht Maaß nicht Ziel.“

„Dann trockne Dir die Thränen schnell“, –
     Klang Bawdin’s Stimme da –
„Der Wittwen und der Waisen Gott
     Ist auch den meinen nah.

„Mich mag er meucheln der Tyrann,
     Der frech sich König nennt;
Doch weiß ich, daß ihn Gottes Hand
     Von meinen Kindern trennt.

„Und, Canning, ohne Bangen traun
     Thu’ ich den letzten Gang;
Hab ja dem Tod in’s Aug’ gesehn
     Ein halbes Leben lang.

„Wie oft, wenn guten Schwertes Hieb
     Hell durch die Lüfte pfiff,
Und blindlings in die Schlacht hinein
     Der Tod nach Beute griff, –

„Wie oft dann sah er wild mich an!
     Ich starrt ihm in’s Gesicht;
Er hob die Hand zum Speereswurf, –
     Galt mir’s? ich wußt es nicht.

„Und nun, wegwerfen sollt’ ich selbst
     Des Mannes beste Zier?
Im Leben Muth, im Tode Muth
     Das, Canning, schuld ich mir.

„Und schuld es meinem Vater auch; –
     Der war ein Ritter gut:
Rein war sein altes Wappenschild,
     Und rein sein altes Blut.

„Gesetz und Recht, die hielt er fest
     Im Wirrsal der Parthein;
Die schwere Kunst war seine Kunst:
     Gerecht und mild zu sein.

„So war sein Haus: ein offnes Thor,
     Und offner Tisch dazu;
Dem Bettler bot er Speis’ und Trank,
     Dem Pilger Rast und Ruh.

„An seines Namens blanker Ehr’
     Hat Schande nie geklebt,
Und seiner fleckenlosen Treu
     Der hab ich nachgestrebt.

„Mir lebt ein Weib, ich hab ihr Bett
     Treubrüchig nie entehrt, –
Nie auch von Heinrich’s heil’gem Recht
     Mich treulos abgekehrt.

„Drum geh in Ruh ich diesen Gang,
     Und, Canning, sterbe gern;
Mein Auge wird den Tod nicht sehn
     Des Königs meines Herrn.“

Charles Bawdin schwieg; – da klang’s herauf
     Wie Rossesstampfen schon,
Die rost’gen Angeln drehten sich
     Und gaben schrillen Ton.

Hell in des Kerkers offne Thür
     Drang jungen Tages Schein,
Und mit dem Licht des Morgens trat
     Ein weinend Weib herein.

Charles Bawdin’s Weib. Der Ritter sprach:
     „Laß sterben mich in Ruh,
Und wende nicht die Seele mein
     Dem Irdschen wieder zu.

„Laß ab! Die Thrän’ in Deinem Aug’
     Macht mir das Herze weich,
Und wäscht dem frischen Muth in mir
     Die Wange wieder bleich.“

Er sprach’s und schwieg. Das blasse Weib
     Sah starr ihm in’s Gesicht,
Ihr Ohr vernahm die Worte wohl
     Und hörte doch sie nicht.

Dann rief sie, daß ihr Schmerzensschrei
     Ihm in die Seele schnitt:
„Das Beil, das Deinen Nacken trifft,
     O träf es doch mich mit!“

Hin sank sie; Bawdin küsste leis
     Auf Stirne sie und Wang;
Dann sprach er: „Schließer, nimm mich hin
     Auf meinem letzten Gang!“

Er trat hinaus; da stand der Karrn
     Der sonst nur Schächer trug,
Und alsobald zum Richtplatz hin
     Bewegte sich der Zug.

Der Zug war so: der Richter vorn
     In seines Amts Geschmeid,
Hell glitzerte das Quastengold
     An seinem Scharlachkleid.

Zwölf Augustiner kamen dann
     In härenem Gewand,
Mit Rosenkranz und Geißelstrick
     In recht- und linker Hand.

Bußpsalme sangen finster sie
     In mächtgen Melodien,
Und nieder schrillte Glöcklein Klang
     Vom Thurme Sankt Marien.

Den Mönchen folgte, festen Schritts
     Ein Bogenschützen-Hauf:
Die Sennen waren all gespannt,
     Die Pfeile lagen auf.

Wohl mocht ein Rest lankastrisch Volk
     Den Ritter noch befrein,
Es durfte Bawdin’s letzter Gang
     Der seiner Feinde sein.

Dann kam er selbst: zwei Rappen vorn
     In weißer Decken Putz,
Auf ihren Köpfen wiegte sich
     Ein schwarzer Federstutz.

Und wieder dann kam festen Schritts
     Ein Bogenschützen-Hauf:
Die Sennen waren all gespannt,
     Die Pfeile lagen auf.

Zwölf Augustiner wieder dann
     Mit Psalmesmelodien, –
Und immer noch scholl Glöcklein Klang
     Vom Thurme Sankt Marien.

Den Schluß, den machte straßenbreit
     Des Volkes dicht Gedräng:
Von Dach und Fenster folgte man
     Dem traurigen Gepräng.

Und jetzt an Christi Kreuz vorbei
     Bewegte sich der Zug,
Hernieder schaute still das Lamm,
     Das unsre Sünden trug.

Und Bawdin betete und sprach:
     „Erbarm, o Herr, Dich mein,
Und wasch auch meine Seele heut
     Von ihren Flecken rein!“

Er sprach’s. Der König aber stund
     An Schlosses Fenster schon,
In seinem Antlitz paarte sich
     Die Rache und der Hohn.

Charles Bawdin sah’s; in seinem Karrn
     Hob er sich stolz empor,
Und donnerte mit fester Stimm
     An Königs Edwards Ohr:

„Verräther, der Du bleibst und bist,
     Schau nur in Hohn mir zu,
Wie klein mich Deine Rache macht
     Bin größer doch als Du.

„Durch Mord und jede faule That
     Trägst Du die Krone Dein,
Doch klebtest Du mit Blut sie fest
     Wird doch nie Deine sein.

„Vernimm: es reift die Frucht heran
     Vergangner Missethat,
Und wie Verrath Dich groß gemacht
     Wird stürzen Dich Verrath.“

Er rief’s; das klang so fest und klar
     Zu Edwards Ohr hinauf:
Der murmelte, hochroth vor Scham,
     Zum Richard Gloster drauf:

„Traun Bruder, dieses Bawdin’s Wort
     Ging mir in Herz und Blut;
Der Könige König dieser Welt
     Das ist doch Mannesmuth!“

Er sprach’s; doch Richard Gloster rief
     Mit tückisch rauhem Ton:
„Laß sterben ihn, laß sterben ihn,
     Die Raben warten schon!“

Hin zog der Zug, dem Schloß vorbei,
     Sie waren bald zur Stell:
Das blanke Beil im Sonnenschein
     Wie blinkte das so hell.

Behangen schwarz war das Schaffott;
     Charles Bawdin stieg hinauf:
Ihm war das Sterben wie Triumph
     Und stolzer Siegeslauf.

Rings stand das Volk; da sprach er laut:
     „Blutacker bleibt dies Land,
So lange Schwert und Scepter bleibt
     In dieses Edwards Hand.

„Vergehn vor Gram wird manches Weib,
     Und manche junge Braut,
Eh’ dieses Land den ersten Strahl
     Des Friedens wiederschaut.“

Er rief’s; an Priesters Seite dann
     Hinkniet’ er aufs Schaffott,
Und betend, still die Seele sein
     Empfahl er seinem Gott;

Dann aber pressend an den Block
     Sein Haupt in stolzer Eil,
Abschlug ihm das auf einen Hieb
     Das blanke Henkerbeil.

Hinfloß sein Blut; stillweinend stand
     Das Volk im Kreis umher;
Wie viel auch rothen Blutes floß
     Der Thränen flossen mehr.

Der Henker dann, mit scharfer Axt,
     Viertheilte Bawdin’s Rumpf,
Und jeder Theil ward aufgesteckt
     Auf einen Lanzenstumpf.

Der Eine thät als Wetterfahn’
     Hoch auf dem Thurm sich drehn;
Ein zweiter war als Gitterschmuck
     Vor Edward’s Schloß zu sehn.

Der dritt’ und vierte sammt dem Haupt,
     Bei Tages erstem Schein,
Von dreien Thoren blickten die
     Weit in das Land hinein.

Da wurden sie, bei Tag und Nacht,
     Umkrächzet und umkreist,
Das Raben- und das Krähenvolk
     Hat alles aufgespeist.

Das war das End’ von Bawdin’s Treu,
     Und seiner Ehren Ziel; – –
Gott schenk dem König unsrem Herrn
     So treuer Diener viel.

Collection: 
1851

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