Bin wie ein Dieb durchs Fenster gestiegen.

Bin wie ein Dieb durchs Fenster gestiegen.
Sah das Mädchen in seiner Jugendpracht
Nackt auf dem seidenen Bettchen liegen,
Wie ein Wunder aus einer Zaubernacht.

Und sie schlief von kindlichen Träumen belogen,
Die ein Lächeln auf ihre Lippen hauchten,
Während die Sonnenstrahlen in flimmernden Wogen
Spielend ihr Kraushaar in goldene Lava tauchten.

Mir aber pochte das Herz, und als ich verwegen
Über die schneeigen Glieder mich leise gebückt,
Hat eine Rose verwelkt am Boden gelegen,
Eine Knospe, die sie im Garten gepflückt.

Sah die welke Knospe am Boden liegen,
Sah im Bettchen das süße, schlummernde Wesen. –
Leise bin ich durchs Fenster zurückgestiegen.
Und mir war, als hätt ich ein Märchen gelesen.
(Band 1 S. 34)
_____

Collection: 
1994

More from Poet

  • Tiefe Stunden verrannen.
    Wir rührten uns nicht.
    In den alten Tannen
    Schlief ein Gedicht.

    Stieg ein Duft aus dem Heu,
    Wie ihn die Heimat nur haucht. – –
    Sahst du das Reh, das scheu
    Dort aus dem Duster...

  • Hell strahlen die festlichen Wände,
    Fanfaren schmettern laut.
    Es reichen sich selig die Hände
    Bräutigam und Braut.

    Es schwelgen im rauschenden Glanze
    Frohe Damen und Herrn
    Und wiegen sich lachend im Tanze. – –...

  • (30. Januar 1919)

    Limi, Seeheimer Laterne
    Glüht rot.
    Trennt uns nur die Feme?
    Oder Not?
    Von dem Wernerwalde
    Und vom Einst
    Träum ich, träum, daß balde
    Du erscheinst.
    Komm,...

  • Wenige Schritte weiter –
    Teilt sich der Buchen stäte Nacht,
    Blickst du auf Lande, die heiter
    Und weit und schön sind, wie Gott sie erdacht.

    Grüne schlummernde Wellen
    Glitzern im Regenbogenstaub;
    Und Friede...

  • Mir träumte, ein kleines Schwälbchen
    Flöge über das Meer.
    Ein fremder, häßlicher Vogel,
    Der jagte hinter ihm her.

    Und eine weiße Möwe
    Schloß sich zum Wettflug an,
    Bis sie dem wilden Jäger
    Die Beute...