12.
Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.
Trennung - giebt es die für uns noch,
Da wir uns so tief geeinigt,
Da wir uns so ganz verschmolzen
In unendlich heißer Minne? -
Nicht für eine Spanne Zeit,
Nein, wir haben uns gefunden,
Nein, wir haben uns umwunden
Für die ganze Ewigkeit.
Immer, immer bist Du nahe,
Ob Du mir auch noch so ferne;
Nimmer, nimmer bist Du weit;
Dich so traut im Arme halt' ich,
Schmiege mich an Dich so innig;
Mit so voll lebend'ger Wahrheit
Deine Kußgewalten fühl' ich -
Zwar, es ist ein Traum, alleine
Nicht ein leerer, es verleiht
Uns'rer Seelen, uns'rer Sinne
Inn're magische Vermählung
Ihm den Wert der Wirklichkeit.
Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.
Ach, so lange mußt' ich bangen,
Ach, so lange mußt' ich darben;
Jetzo, da sie, diese Wonne,
So gewaltig auf mich einstürmt,
Ist mein Herz, sie zu ertragen,
Kaum befähigt. Seufzer ringen
Sich hervor aus meinem Busen,
Aus dem Auge quellen Thränen
Und verschleiern meinen Blick.
Und so muß mein Wesen häufig
Dir ein dunkles Räthsel scheinen.
Krank bin ich durch Liebessegen,
Bin erschüttert, bin gebrochen,
Bin gefährdet durch mein Glück.
Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.
aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859