VI

Der Abend flog schon nieder in die Täler.
Des Tages Gold und Glut starb ohne Trauer
In blaß Umdämmern hin. Wir ruhten schweigend,
Mein Haupt in deinem Schoß.

Als dann der ersten Sterne Blau erwachte,
Ward dir ein neu Gesicht aus frommen Küssen.
Nannt ich dich Mutter? Nanntest du mich Kind?
Des Dunkels zarter Rausch umfing uns ganz,
Unsere Liebe säumten zage Sterne.

Aus tiefen Bronnen stieg die Heiligkeit
Und lohte durch uns. Und dein Antlitz wuchs
Und wuchs in hohe Himmel wie gesegnet.
Ich stammelte: Madonna, und ich kniete!
(Band 1 S. 380-381)
_____

Collection: 
1917

More from Poet

  • IV

    Nur Toren sehen Blitze wahllos zucken.
    Des Vorgewitters dumpfe Muße
    Erschloß ihm nicht den Sinn. Dann zäumten rot
    Goldene Zügel die gehetzten Rosse.
    Auch rann der Regen. Sturmdurch schwanken Felsen.

    Die Feuer wählen die...

  • III

    Lebendige, du schüttest mir mehr Wunder
    Als Stern und Meer. Der Einsame schenkt jenen
    Hauch, Hall und Art von seinem Dichttum, deutet
    Sie seiner Ahnung nach. Gewand und Klang
    Sind sein, wenn sie durch obere Sphäre schreiten:
    ...

  • II

    Als er
    Des Abends hinschritt, deutlicher drängte ihm
    Als jemals alles Ding nah. Freudiger staunte er.
    Der gelbbetupften Birken Zweige fächelten
    Die Luft. Die roten Vogelbeeren prahlten.
    Der junge Herbst entstieg dem Boden....

  • Bei letzter Sonne noch gewohntes Schicksal,
    Brachte der erste Stern den Wechsel? Eben
    Umstrichen noch von der Luft der staubigen, öden
    Steinbrüche, noch der grauen Flächen Lähmung,
    Sprühte der Stein jetzt Funken, und erquoll
    Ozon...

  • I
    Erwachen
    Geliebter, glaubte ich dich nicht verwunden,
    Vergessen längst? Und wachst mir wieder auf ...
    Hab ich dich nicht wie einst empfunden,
    Schlugst du nicht heilig deine Lider auf?

    Was läßt du mich...