Traumbild

Aus jenen tiefsten Tiefen meiner Seele,
Wo längst begraben meine Toten ruhn,
Hob sich dein Bild. Es kam ein dunkles Auge,
Ein roter Mund und eine hohe Stirn,
Auf die, sich wirrend schwarze Locken fielen.

Du warst sehr jung, und deine junge Seele
Und deinen jungen, blutdurchpulsten Leib,
Du gabst sie mir, du gabst mir alles - alles.

Einst schwand der Tag und sank am letzten Himmel,
Und es ward Nacht, und es ward schwarz und dunkel,
Kein Mensch war um uns. Wie in banger Furcht
Drängte dein Leib sich dicht an mich heran.
Er zitterte ... die schwüle Stille rings
Durchtönte, kaum vernehmbar meinem Ohre,
Dein Atmen und das Klopfen deiner Pulse.

Du gabst dich hin in taumelndem Genuß,
Und: "That ich Sünde?" fragten deine Lippen,
Die sündhaft schönen, die blutrotgeküßten,
"Sag, that ich Sünde?" ... Sieben Sterne gingen
In hohem Glanze durch den Himmel hin,
Weiß wie die Sterne war dein Mädchenantlitz.

Ich strich die dunklen Locken aus der Stirn
Und sah dich an. Ich mußte plötzlich weinen,
Wie man um Blumen weint, die früh gebrochen,
Ich schluchzte auf - um dich und nur um dich!
"Sag, that ich Sünde?" fragtest du noch einmal
Mit wehem Laut ... Die Nacht war schwer und still
Und weiße Sterne schimmerten am Himmel
Wie totenbleiche, frühgebrochne Blumen.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Heut stieg dein Bild auf und es sank zurück
Langsam und weinend in die tiefsten Tiefen,
In jene Tiefen, wo die Toten ruhn.

aus: Gedichte von Carl Busse
Vierte Auflage
Stuttgart Verlag von A. G. Liebeskind 1899

Collection: 
1896

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