Sonett

(Widmung zu Elisabeth Browning Sonetten,
übertragen von R. M. Rilke)

Ich weiß nur eines - diese bangen Lieder,
die langsam aus dem dunkel-kühlen Bronnen
der reinsten Seele goldklar und versonnen
aufsteigen perlend an das Licht der Sonnen,

sie zittern auch in Deiner Tiefe wieder.
Wo nehm ich mir das Recht, sie Dir zu geben,
die scheusten Stunden, die ein Liebesleben
mit Schmerzen je gebar, ich, der ich neben

die keuscheste der Fraun zu treten wage?
Doch heute wird mir, was ich oft beklage,
zu reinem Glück; ich darf es, denn ich trage

die Seele einer Frau, der Sein und Lieben
das gleiche ist; und nun, von Scham getrieben,
reich ich Dir dieses Buch, wie selbst geschrieben.

Collection: 
1910

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