Sommer 1898

     Ich, der alte Ahasver,
     Habe große Eile,
     Zu verscheuchen wünscht’ ich sehr
     Ewig lange Weile:
     Lenke wieder meine Bahn,
     Endlos mir beschieden,
     Nach dem alten Kanaan,
     Das ich lang gemieden.

Mir ist in der Ferne die Kunde geworden,
Es käme gezogen ein Herrscher von Norden,
Da setzt es vielleicht auch für mich einen Orden.

     Rückwärts schweift mein Auge matt,
     Reuevoll umdustert,
     Nach der alten Judenstadt,
     Drin ich einst geschustert,
     Derart, daß mich heute noch
     Gottes Welt verachtet,
     Weil ich nicht den Braten roch,
     Eh’ das Lamm geschlachtet!

Wär’ Jener gekommen, wie Dieser kommt heute,
Mit stolzem Gepränge und großem Geleite,
Ich wäre moralisch gegangen nicht Pleite!

     Jener ritt die Eselin,
     Dieser den Trakhener,
     Ehr’ und Glück trägt Dieser hin
     Und sein Leben Jener.
     Durch der Rede reiches Wort
     Einzig sind die Beiden,
     Und ihr Ziehn von Ort zu Ort
     Nicht zu unterscheiden.

Was aber hilft tief mir im Busen die Reue!
Versagt’ ich denn jemals dem Herrscher die Treue?! –
Am Ende ereilt mich mein Unglück aufs neue!

     Kam doch auch zu jener Zeit
     Unter Kriegerscharen
     In verbrämtem Purpurkleid
     Einer angefahren! – –
     Wenn der Andre nun auch jetzt
     Beim Erlöserwerke
     Sich vor meine Türe setzt,
     Ohne daß ich’s merke?!

Von ihm stand kein Wort in der Zeitung geschrieben
Ich hätt’ ihn ja sonst von der Bank nicht vertrieben!
Und darin ist alles beim alten geblieben. –

      Ja, wir Menschen stolpern blind
     Durch des Lebens Enge.
     Oft ist leer wie Schall und Wind
     Größtes Festgepränge.
     Irrt man ehrfurchtsvollen Blicks,
     Ehr’ und Macht zu suchen,
     Kommt der Mächt’ge hinterrücks,
     Einen zu verfluchen! –

Es wechseln nicht nur an der Börse die Größen! –
Nichts bleibt uns, inmitten von Püffen und Stößen,
Als ununterbrochen das Haupt zu entblößen.

Collection: 
1905

More from Poet

  •           

    Das Herz so voll, der Kopf so leer,
    Ich finde nichts als Worte;
    Sie tanzen auf, sie taumeln her,
    Und stets am falschen Orte.

    Das find’t sich nicht, das reimt sich nicht;
    Nur wirre Klagetöne.
    Das gibt mir ewig kein Gedicht
    An...

  •                     I

    Warum drängst du dich in meine Träume?
    Warum hemmst du meiner Schritte Lauf?
    Warum füllst du alle Himmelsräume,
    Blick’ ich nächtens zu den Sternen auf?

    Stör’ ich deiner Seele heil’gen Frieden,
    Warum machst du, Mädchen, dich so...

  •      

    Sieh die taufrische Maid,
    Erst eben erblüht;
    Durch ihr knappkurzes Kleid
    Der Morgenwind zieht.

    Wie schreitet sie rüstig,
    Jubiliert und frohlockt,
    Und ahnt nicht, wer listig
    Unterm Taxusbusch hockt.

    Der allerfrechste...

  • Wir waren Philister und merkten es, wie
    Die Kräfte des Geistes erschlafften;
    Da warfen wir uns auf die Philosophie,
    Die tiefste der Wissenschaften.

    Da haben wir gründlich uns eingeprägt
    Die Sprüche der großen Gelehrten;
    Und was man im Fleisch und im...

  •                

    Zum Wassertrinker bin ich nicht geboren,
    Das kann euch meine edle Muse zeigen;
    Sie singt beim Wein und fällt in tiefes Schweigen,
    Wenn sich der letzte Schluck im Bauch verloren.

    Dem Wasser hab’ ich ew’gen Haß geschworen,
    Weil ihm der...