Selbstzersetzung

Hochheil’ge Gebete, die fromm ich gelernt,
Ich stellte sie frech an den Pranger;
Mein kindlicher Himmel, so herrlich besternt,
Ward wüsten Gelagen zum Anger.

Ich schalt meinen Gott einen schläfrigen Wicht;
Ich schlug ihm begeistert den Stempel
Heillosen Betrugs ins vergrämte Gesicht
Und wies ihn hinaus aus dem Tempel.

Da stand ich allein im erleuchteten Haus
Und ließ mir die Seele zerwühlen
Von grausiger Wonne, von wonnigem Graus:
Als Tier und als Gott mich zu fühlen.

Auch hab’ ich, den mördrischen Kampf in der Brust,
Am Altar gelehnt, übernachtet,
Und hab’ mir, dem Gotte, zu Kurzweil und Lust
Mich selber zum Opfer geschlachtet.

Collection: 
1905

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