Sappho an Phaon

 
Ha, so ist es denn entschieden,
Was mein Herz so ungern glaubt,
Was auf ewig mir den Frieden
Des verlaßnen Lebens raubt:
Du, den unter allen Wesen,
Die mir je mein Blick gezeigt,
Ich zum Einz'gen auserlesen,
Hast dein Herz mir abgeneigt!

Muß sich’s denn nicht liebend regen,
Wenn dir meins entgegen pocht?
Kann dein Blut sich kalt bewegen,
Wenn das meine wallend kocht?
Darf dein Blick sich von mir kehren,
Wenn nach dir nur meiner späht,
Und in kaum verhaltnen Zähren
Meine Qual dir eingesteht?

Bin ich denn ein Ungeheuer?
Ist mir keine Charis hold?
Schmachtend flehte mancher Freyer
Schon um meiner Minne Sold.
Nur für Einen wünscht' ich Reize;
Möcht ich allen häßlich seyn!
Er, nach dem ich einzig geize,
Er nur hasset mich allein.

Hat dich frischer Reiz gebunden?
Ach, die Blume welkt auch einst!
Und dann kommen Rachestunden,
Wo du fruchtlos um mich weinst.
Höhre Schönheit magst du finden,
Doch kein Herz das diesem gleicht,
Das im Lieben und Empfinden
Diese Glut und Treu erreicht.

Du nur tünchest meine Wangen,
Blühend sonst, mit krankem Weiß:
Du nur giebst den Geist den Schlangen
Wüthender Erynnen Preis.
Ich, ich schau es selbst mit Grauen,
In mein sonst so sanftes Herz
Schlägt die schwarzen Höllenklauen
Eifersucht mit wildem Schmerz.

Warum tauschte Wechselpfeile
Nicht für uns Dionens Knab'?
Warum sandt' er einem Theile
Feindliches Geschoß herab?
Was mich liebet, muß ich meiden,
Was ich liebe, flieht vor mir:
Amor, sind so bittre Leiden
Ein ergötzend Schauspiel dir?

Alles rührt sonst meine Leyer,
Die vom Gott des Pindus stammt;
Singet sie der Liebe Feuer,
Wird das kältste Herz entflammt.
Dich nur kann sie nicht bewegen,
Nur aus deiner Brust von Erz
Kömmt ihr kein Gefühl entgegen,
Klagt sie rührend meinen Schmerz!

Hunger nagt, und Feuer brennet,
Centnerlasten drücken schwer;
Wer verschmähte Liebe kennet,
Höhre Qualen kennet der.
O du Flamme, ihr Gewichte,
Du o Natter ohne Rast,
Machet doch dies Herz zunichte!
Tödtets unter Eurer Last!

Nein! Noch will ich mich ermannen,
Eitler, triumphire nicht!
Diese Liebe will ich bannen,
Ob mein Herz darüber bricht. -
Ach, was kann es sonst, als brechen?
Brechen, ja, nicht kann es mehr.
Durch Verachtung sich zu rächen,
Fällt bereits ihm allzuschwer.

Kann ich nicht mir selbst genügen?
Dank ich, fremder Laune Spiel,
Meinen Schmerz und mein Vergnügen,
Einer andern Brust Gefühl?
Meine war ja sonst die Quelle,
Wo mir Wohl und Weh entsprang;
Ach, versiegt ist jede Welle
Vor'ger Kraft, in Thränen lang!

Brennend heiß ist meine Stirne;
Meine armen Augen glühn:
Schmerzhaft tobets im Gehirne,
Stechend Weh zuckt her und hin.
Alle Bilder und Gedanken
Drehn sich wirbelnd ohne Zahl;
Tod nur oder Wahnsinn – schwanken
Kann in beyden nur die Wahl.

Und mein Herz ist hingegeben,
Und ich habe keins zurück:
Ohne Herz, wie kann ich leben?
Sterben – ja du willst's, Geschick.
Nur von Lethe's Thaugestaden
Winket mir noch Seeligkeit;
Da will ich sein Bildniß baden
Tief in dir, Vergessenheit.

Ha, auf welche Felsenspitze
Trug mich itzt mein irrer Lauf?
Hier, so nah am Göttersitze,
Raffe noch einmal dich auf.
Blick' umher! Nur Fluth und Aether;
Hinter dir verpestet Land -
Er bewohnets, der Verräther -
Rings um dich der jähe Strand.

Weit ins Meer hinaus gebogen
Springet diese Klipp' hervor:
Unten brausen tiefe Wogen,
Und die Brandung schäumt empor.
Nimm all deine Kraft zusammen!
Hier ists schauerlich und hehr!
Tauch – o lösche deine Flammen
In dem ungemeßnen Meer.

Ja, hinab denn in die Fluthen,
Unter denen Lethe quillt!
Einzig Wasser, das die Gluthen
Des verzehrten Herzens stillt.
Noch im Stürzen zeigt das Wasser
Mir sein Bild – hinab, hinab!
O umfange mich, du nasser
Tod, du lieblich wogend Grab.

Aus: Gedichte von Therese von Artner
Zweyter Theil Leipzig 1818 (82-87)

Collection: 
1818

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