O weh!

Hinan, hinan die schwankende Leiter,
Vom Söller winkt ihre weiße Hand,
Es winkt und wehet ihr Haar im Nachtwind,
Es winkt und lockt ihr flüsternd Gewand.

Hinan, hinan, ihr Haar ist so seiden,
Ihr Arm ist so weiß, und so süß ist ihr Mund,
Und die Nacht ist so still, und es schlagen und locken
Die Nachtigallen im Wiesengrund.

Und näher, und näher, ihm glühn die Wangen,
Sein Herz schlägt zum Brechen, hinan, hinan,
Jetzt hat er die letzte Sprosse erklommen,
O Schauer der Liebe! - Da faßt es ihn an.

Und neben ihm sitzt sein Weib in der Nachtmütz'
Und rüttelt ihn keifend an Schulter und Arm:
"Du hast mich zum Bett bald hinausgeworfen,
Was träumst du schon wieder, daß Gott erbarm!

Und hast mir die Tücher vom Leib gerissen,
Ich möchte nur wissen, was wunder es ist,
Was dich im Schlaf so viel muntrer machet,
Als du mit wachenden Augen bist."

Aus: Gedichte vom Freiherrn Carl von Fircks
Leipzig Julius Klinkhardt 1864

Collection: 
1864

More from Poet

  • Der Mond steht am Himmel, von Sternlein blüht
    Die Nacht über Feldern und Matten,
    Ein einsamer Reiter die Straße zieht
    Selbander mit seinem Schatten.

    Muß wohl ein vieltreues Gedenken sein,
    Was ihm den Sinn hat gefangen,...

  • Oben auf der Felsenzinne
    Schimmernd steht das Ritterschloß,
    Bub' und Knapp' im Burghof reiten
    Wild und jubelnd hoch zu Roß.
    Unten düster in der Tiefe
    Liegt das Kloster, einsam stehn
    Stille Mönchlein an den Fenstern...

  • Ich saß schon oftmals in der Stille nieder
    Nachsinnend einem räthselhaften Lied,
    Das leis' und heimlich, flüsternd immer wieder
    In Lust und Weh durch meine Seele zieht.
    Doch wie ich sann und träumte lange Stunden
    Und wog das Wort...

  • Ich habe mich, müde vom Sorgen und Wandern,
    Zum Frühling auf's blühende Lager gestreckt,
    Und unter das Haupt einen Traum mir genommen,
    Und mit dem Himmel mich zugedeckt.

    Es klettern die Verse mit tanzenden Füßen
    Wie spielende...

  • Sag', was du willst, versuch' an mir,
    Was Liebe tragen kann,
    Thu' deinen bösen Willen dir,
    Doch sieh mich wieder an!

    Mir ist, wenn sich dein treuer Blick
    Nicht mehr zu mir gesellt,
    Es sei gestorben Freud' und Glück...