„Was suchst du in der Einsamkeit
Mit deinem Kinde, junge Mutter,
Von jeder Menschenhilfe weit?"
Für ihre Kuh ein wenig Futter.
Sie klomm, die Sichel in der Hand,
Empor auf schmalen steilen Steigen,
Bis sie an wildem Abgrund stand –
Rings kahle Höh'n und tiefes Schweigen.
Hier pocht kein drittes Menschenherz,
Kein Menschenlaut verweht im Winde –
Nur sie mit Schmeichellaut und Scherz
Spricht bei der Arbeit zu dem Kinde.
Des Wildbachs dumpfes Tosen dringt
Zu ihr empor wie leises Rieseln,
Und in der Morgenstille klingt
Wie Uhrgetick der Fall von Kieseln.
Nur über Schnee und Nagelflue
Läßt achtlos sie die Blicke schweifen –
Aus weiter Ferne ab und zu
Des Murmelthieres warnend Pfeifen;
Und in den Schlummer lullt ihr Kind
Der Wasser monotones Fallen,
Der frische, kühle Morgenwind
Und ferner Herdenglocken Hallen.
Da horch! ein langgezogner Schrei,
Ein Schrei der Angst, ein Schrei des Zornes -
Die Adlermutter schießt herbei
Vom höchsten Punkt des nächsten Hornes,
Denn eine Spalte in der Wand,
Erreichbar mittelst eines Sprunges,
Sie birgt, wo Keiner noch ihn fand,
Den Horst und in dem Horst ihr Junges.
Nun hoffe nicht, daß dich die Flucht
Hinab zur nächsten Hütte trage!
Es stieße dich in eine Schlucht
Der Aar mit mächt'gem Flügelschlage.
Du mußt der zweiten Mutter stehn,
Dem Fangesschlag, dem Schnabelhiebe -
Du mußt in ihren Augen sehn,
Die dich beseelt, die Mutterliebe!
Dein Fuß steht fest, ob er auch nackt,
Stark ist dein Arm, der sehnenstraffe,
Und nun mit raschem Griff gepackt
Die Sichel, deine einz'ge Waffe!
Dich und dein Kind bewahrt dein Muth
Vor jähem Sturz ins Reich der Grüfte –
So triff sie sicher denn und gut,
Die Räuberkönigin der Lüfte!
Und wenn sich unter deinem Stoß
Die Herzenswunde tödtlich weitet,
Wie sinkt sie, noch im Fallen groß,
Das stolze Schwingenpaar gebreitet!
Auf Steinen, zackig, rauh und kahl,
Wird in der Schlucht ihr Leib gebettet –
Du aber schreitest froh zu Thal,
Du und dein Kind, durch dich gerettet!